Abschied und Neubeginn

Vor wenigen Wochen habe ich vor versammelter Klasse verkündet, dass ich noch während des aktuellen Schuljahres meine Schule verlassen und meine Position als Klassenleitung aufgeben werde. Auch die Eltern erhielten ihre Information, das Echo steht noch aus. Allein schon wegen des etwas ungünstigen Zeitpunktes. Blöd. Aber muss leider sein.

 

Deswegen heute auf der Speisekarte: Gemischte Gefühle mit Gedankensalat.

Mein Text »Lonely Writer Syndrome« wird im Mai zwei Jahre alt, und dennoch ist er und vor allem seine Einleitung weiterhin extrem aktuell. Er bemängelt, er kritisiert, und damit spricht er noch immer vieles von dem an, was sich 2024 ändern muss und wird. Das ewige Hamsterrad aus Stagnation und Negativität muss endlich stehenbleiben, ich kann und will das nicht mehr. Denn: Wozu auch? Warum tue ich mir das an? Was bringt mir das? Was habe ich davon? (Freude und Erfüllung jedenfalls nicht.) Daran schließt sich die umgekehrte, aber wichtigste Frage an: Was haben die Kinder davon, wenn ich bleibe? Wie soll ich das Feuer in Kindern entfachen, wenn mein eigenes erloschen ist? Darauf finde ich nicht länger eine Antwort. Deswegen muss ich gehen.

 

Was ich brauche, ist ein Neustart. Mal wieder. Neues lernen, Neues ausprobieren, dabei auf das zurückgreifen, was ich kann. Neue Leute, neuer Betrieb, neues Tun, neuer Tagesablauf, neue Menschen.

 

Die Gründe dafür sind vielfältig und vielschichtig: Es liegt an mir, an meinen Kompetenzen; an den Kindern und ihren Kompetenzen; an den Eltern und ihren Kompetenzen; an dem, was Schule zu sein hat und was Schule sein kann; an dem bürokratisch-organisatorischen Rattenschwanz, den dieser Job mit sich bringt und den Kern der Tätigkeit verhüllt; an dem Anstieg sozialer Unachtsamkeit und Respektlosigkeit; und vor allem an der vielen Zeit, die tagtäglich und Jahr für Jahr mehr verloren geht, weil sie für erzieherische und disziplinierende Maßnahmen draufgeht. Der Spaß und das gemeinsame Lernen blieb auf der Strecke und ich habe keine Lust mehr auf ständige Kindergarten-Diskussionen, arschiges Sozialverhalten und ins Leere laufende Disziplinierungsmaßnahmen. Es liegt also eigentlich irgendwie an allem.

Die Didaktik, das Unterrichten an sich, das Inhaltliche, das bereitet mir Vergnügen, auf meine Rollen als Sekretär, Löwendompteur, Psychologe, Sozialpädagoge, Streitschlichter, Familiensprechstundenleiter, Animateur, Lern- und Psychotherapeut, Erziehungsbeauftragter, Boxsack für fremde Unzulänglichkeit und Mädchen für alles kann ich jedoch verzichten. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Einsicht. Es passt einfach nicht. Mir passt es nicht. Ich bin dafür nicht geeignet. Und deswegen bekommen das andere besser hin. Punkt.

 

Ich schätze die Schule auch weiterhin, denn ich hatte hier eigentlich immer Tiefe und Halt bekommen. Meine Arbeit hier war mehr als ein Job gewesen, vor allem zu Beginn, die Schule glich einem Hafen für mich schlecht gefaltetes Papierschiffchen auf unruhiger See. Man hatte mich aufgelesen wie ein nacktes Vogelbaby, irritiert und hilflos nach den Erfahrungen des Referendariats. Gemeinsam hatten sie mich gefördert und gefordert, hatten mich erst aufgepäppelt und dann schalten und walten lassen, weil sie mir vertrauten. In den ersten Monaten hatte ich ungewohnte Selbstwirksamkeitserfahrungen, genoss die Beliebtheit bei Jung und Alt. Ich baute einiges auf, wurde ein Teil der noch jungen Geschichte dieser Schule, hinterließ meine Spuren und wir alle werden uns in guter Erinnerung behalten. Das kann mir und uns keiner nehmen. Und genau deshalb ist es jetzt nötig, einen Schlussstrich zu ziehen, um nicht alle guten, vergangenen Momente im Zorn und der Niedergeschlagenheit der Gegenwart zu ersticken. Auch wenn es schmerzt. Das ganze Kollegium hatte mich unterstützt und die Hoffnung gehabt, ich würde ein stabiles Puzzlestück der Schule werden, über Jahre verlässlich, einfach immer da.
Die Resonanz für meine Arbeit war auch grundsätzlich positiv, aber... wie man neudeutsch sagen würde: Ich fühle es nicht länger. Keiner ahnte, was in mir schlummerte und wie gerädert ich mich an vielen Tagen in den Feierabend schleppte. Deswegen machte ich meine Arbeit schlechter als am Anfang, ich arbeitete unter meinen eigenen Ansprüchen – so zumindest mein Eindruck –, aber mehr und besser ging irgendwie nicht mehr, egal, was ich versucht habe. Motivation und Professionalität auf dem Sinkflug – und damit ist letztlich niemandem gedient. Als ich darüber redete, war es längst zu spät, die innere Entfremdung bereits zu groß. Ich hatte sie alle enttäuschen müssen, und damit auch mich selbst. Einerseits tut es mir leid, andererseits bin ich erleichtert darüber, gehen zu dürfen und gehen zu können.

 

Dennoch fiel mir all das nicht leicht. Eine Gruppe Kinder bei meiner »Abschiedsrede« vor mir sitzen zu haben, denen die Kinnlade runterfiel und die Tränen in die Augen schossen, tat weh. Zu sehen, dass ich einigen von ihnen wirklich was bedeute, war tragisch und schön zugleich. Vor allem, weil mir manche von ihnen wirklich fehlen werden – selbstredend nicht alle, so viel Wahrheit gehört dazu. Sie sind und waren wertvolle Wegbegleiter, die das morgendliche Aufstehen lohnenswert gemacht haben, und einfach tolle Menschen. Wir schätzen uns gegenseitig, kennen uns. Ich würde gerne sehen, wohin deren Reise geht und wünsche ihnen leise und innerlich, dass sie reibungsloser und erfolgreicher verläuft als meine eigene. Weil ich zu ihnen einen guten Draht habe und Vertrauensperson bin, fürchte ich mich bereits ein wenig vor meinem letzten Tag. Schon jetzt wächst ein Kloß in meinem Hals. Aber: Ich fühle mich nicht mehr in der Läge, das Gesamtorchester aus allen Musikanten erfolgreich zu dirigieren, da spielt Zuneigung keine Rolle.

 

Ich habe in meiner kleinen Ansprache an die Kinder erklärt und reflektiert, ich habe mich bedankt aber auch kritisiert, offen und ehrlich, wie ich immer mit ihnen umgegangen bin, vielleicht manchmal sogar zu ehrlich. Deswegen wussten diejenigen Kids, die mir schon zuvor zugehört hatten und entsprechende Antennen dafür besaßen, schon lange, dass ich nicht sonderlich happy war und lediglich Job nach Vorschrift verrichtete, anstatt mit Freude und Eifer zur Arbeit zu gehen, wie sie es mal von mir gewohnt waren. Einige haben diesen endgültigen Schritt meinerseits befürchtet, es gab mal Gerüchte, aber sie haben es doch nie so richtig für möglich gehalten. Sie waren in etwa so schockiert, wie ich häufig im Klassenzimmer saß und leer und gleichgültig das nervige Treiben vor mir beobachtete. Ich hoffe, dass wir alle dennoch oder gerade deswegen nun noch drei anständige, lehrreiche und positive gemeinsame Monate verbringen werden.

Die Überbringung der Nachricht war aber auch eine Befreiung, die mir ganz viel Last von den Schultern nahm... und auch Verantwortung. Vor allem die Verantwortung für diejenigen Menschen und Prozesse, für die ich keine Verantwortung tragen kann oder möchte.

 

Ich weiß nicht, wer oder was den Schalter umgelegt hat. Warum aus einem motivierten Junglehrer mit Ideen, Freude und Motivation ein teilnahmsloser und lethargischer Verzweifelter wurde, der den Kopf gerade so über Wasser hielt. Der nur noch die (vielen?) schlecht laufenden Dinge wahrnahm, und die (wenigen?) guten Sachen nicht mehr genießen und wertschätzen konnte. Vielleicht war es Corona, das alle(s) verändert hat: Mich, die Kinder, die Eltern, die sozialen und inhaltlichen Kompetenzen, die Schulkultur, den Gemeinschaftssinn. Ich weiß es wirklich nicht.

 

Aber das spielt nun auch keine Rolle mehr, denn wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere. Und die berufliche Chance, die sich mir spontan geboten hat, möchte ich nicht ungenutzt lassen. Ich fürchte, ich würde es bereuen. Denn für diesen Berufszweig und diese Stelle hatte mich vor fünf Jahren schon beworben, mich damals aber dann doch für die Schule entschieden. Das war kein Fehler, definitiv nicht. Aber noch bin ich jung genug, vielleicht doch noch etwas anderes für mich zu entdecken. Der Journalismus wartet auf mich, und mit ihm mannigfaltige Erfahrungen, Herausforderungen, Abenteuer, Ziele und Lektionen. Und im besten Fall sogar Freude, Motivation, Erfolge und Glücksmomente.

 

Also: Neues Jahr. Neuer Weg.

 

Kommt ihr mit?

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