BlackBox

Hey, du! Ja, du!

Hast du eine Lust auf eine Reise? Na?

Wusste ich es doch. Dann leg' dich hin und schließ' die Augen. Ja, das ist alles.

Du glaubst mir nicht? Sei nicht albern! Was soll schon geschehen? Es wird phantastisch, ganz sicher! Ein Erlebnis, das du nie vergessen wirst. Eine Erfahrung, die dich bis in alle Ewigkeit begleiten wird.
Also? Ja? Sehr gut.

Sehr, sehr gut...

 

Versuche, dich zu ein wenig entspannen. Lass los. Schalte ab. Gib dich frei.

 

Ja, perfekt!

Dann bleibt mir nur eines zu sagen: Herzlich Willkommen!

 

Du hörst absolute Stille. Um dich herum ist das Nichts, gekleidet in weißer Garderobe. Finstere Sterne strahlen.

Du rufst nach Hilfe, aber aus dir dringt kein Laut. Du klatschst in die Hände und die Umgebung kräuselt sich, wie wenn ein Stein die Ruhe der Wasseroberfläche stört. Du gleitest im Innern eines Zeppelins, der bewegungslos schwebt. Seine Konturlinien sind schwarz, aber flüssig. Als du vorsichtig mit einer Hand nach ihnen verlangst, rutschst du aus. Die Ölfarbe kippt aus und träufelt über deine Finger in deinen Körper, breitet sich aus wie ein Krebsgeschwür aus Dunkelheit. Dein weißer Arm wird dunkel, aus dem Zeppelin tritt Luft, ein Strudel verschluckt dich und du fällst tief. Deine Haare flattern im schwarz-weißen Wind.

 

Nach einer dir unbekannten Zeiteinheit landest du auf einer Art Schlauchboot, das über graues Wasser schippert. Vor dir entdeckst du eine kleine Insel aus metallischem Sand, eine einsame Palme leistet einer Person Gesellschaft. Als du näherkommst, erkennst du ein Mädchen. Deine große Liebe, sie erwartet dich wortlos. Ihr Gesicht sieht verlassen aus, die Sommersprossen funkeln. Das Bötchen strandet gefühlvoll. Sie blickt dich mit ihren geschlossenen, grünen Augen an. Du taumelst vorsichtig auf sie zu. Regungslos beginnt sie zu zittern. Du packst sie mit beiden Händen an den Schultern, um sie festzuhalten. Du bemerkst, wie das Schwarz aus deinem Körper auf sie übergeht und sich mit ihr vermischt. Ihre helle Haut wird trüber, wie aus Aquarell und ein bisschen wässrig. Sie schimmert und wird schwächer. Panisch blickst du ihr ins blanke Gesicht, eine Lippe ersehnt deinen Abschied. Du willst sie küssen, doch im letzten Moment drängt dich ein aufkeimender Sturm zurück. Sie verschwimmt im Staub, während du rücklings auf das Schlauchboot gepeitscht wirst, welches sich schlagartig in Bewegung setzt, in eine andere von vielen möglichen Richtungen. Du schreist, aber du hörst es nicht.

 

Vor dir scheint das Wasser fest zu werden und stachelig. Scherben erwarten dein Vehikel wie die Reißzähne eines Hais, du springst rechtzeitig heraus und herein in die grauen Tiefen. Wie ein Stein tauchst du nach unten und atmest. Unten triffst du deine Freunde, mit Ankern an den Grund gebunden. Sie sind weiß und geknebelt. Sie wabern im Wasser wie Schlingpflanzen aus Fleisch. Hektisch schwimmst du zu ihnen heran, die Wellen schlagen, die Bojen geraten ins Wanken. In ihren Ohren wachsen Korallen, unter ihrer Haut rudern Aale. Als du eine Kette packst, füllt sich eine der leblosen Puppen mit schwarzer Tinte. Ihr Körper zerknüllt sich wie Papier und formt einen Luftballon. Mit dir am Faden rast er himmelwärts, durchbricht den grauen Spiegel und steigt dann in Zeitlupe nach oben. Du brüllst, aber wirst von der Stille verschluckt.

 

Der Ballon begleitet dich zu einer Plattform aus Wolken, bedrohlich weich und gefährlich weiß. Dein Füße hinterlassen matschige, dunkle Spuren. Vor dir taucht eine seltsame Gruppe grauer Gestalten auf, nur schwer zu erkennen, wie Rauch. Du kneifst die Augen zusammen und hältst die Hand an die Stirn. Deine Familie. Als du sie begreifst, verwischen sie, tauchen neu zusammengestellt wieder auf. Der Kopf deiner Schwester auf dem Rumpf deines Vaters mit den Beinen deiner Mutter, dann umgekehrt. Sie verschmelzen zu einem Riesen, verwachsen ineinander und auseinander heraus. Dich ergreift die Angst und du schreist lautlos, das Monster keucht völlig ruhig zurück. Du sprintest den Teppich aus Wolken entlang, nun hart wie Beton, und rennst immer weiter weg, geradeaus und in Schlangenlinien nach links. Vor dir taucht das qualmende Ungetüm auf, bis du dich wieder abwendest, um erneut in Sichtweite zu warten. Du läufst im Kreis, sie sind viele und dir wird schwindlig.

 

Es ist schön hier, nicht wahr?

Hast du was gesagt? Ich kann dich nicht hören.

 

Irgendwann erwachst du wieder, es regnet. Du stehst auf einer glatten Fläche und gehst in die Düsternis des Lichts, die schwarze Wolke folgt dir, tropft fettig und sauer auf dich herab und füllt dich auf. Du versuchst sie zu vertreiben und jagst ihr nach, während sie dich beschattet. Plötzlich kippt die nasse Fläche, und du rutschst zur Seite. Am Ende der schmierigen Platte kannst du vage ein Meer aus Rasiermessern erahnen, das glänzt wie ein Schatz. Du versuchst, zu stoppen und dich zu retten. Dir gelingt es, einen Vorsprung zu ergreifen, der nicht existiert, aber jemand bearbeitet deine verkrampften schwarzen Hände mit Nachdruck. Deine Augen streifen einen Wunsch aus Wasserfarben und eine Furcht aus Dunst, während dir Wasserleichen ihre Zungen herausstrecken, die Algen sind. Du musst loslassen und schlitterst nach unten. Kurz vor dem Einschnitt schießt aus der nahenden Wolke ein Blitz, der dich rettet. Du zerbröckelst wie sprödes Lavagestein und wirst bewusstlos.

 

Habe ich dir zu viel versprochen?

Du willst doch hierbleiben, habe ich nicht Recht?

 

Erschöpft richtest du dich auf. Erneut stehst du vor dem Nichts, auf einem kleinen Plateau im Universum aus Helligkeit. Du betrachtest deinen schwarz leuchtenden Körper, nimmst deinen Kopf zwischen deine Hände und schreist. Es gibt ein Geräusch, als würde ein alter Korken aus einer Weinflasche herausgepresst werden. Luft entweicht, und du hältst deinen Schädel in den Händen. Deine Finger drehen ihn herum wie einen ledrigen Basketball und du betrachtest deinen eigenen Körper. Aus dem Hals tritt schwarzes Wachs aus, der Rest ist steif und aus Seife. Du schaust in dich selbst hinein und alles, was du siehst, ist  klebrige Leere. Du kippst zur Seite und siehst dir beim Schlafen zu.

 

Ja, das ist die Welt deiner Zukunft. Kannst du dir das vorstellen? Jetzt weißt du, wie es ist, wenn es vorbei ist.

Wenn du vorbei bist.

 

Und daher: Öffne die Augen und ich frage dich:

Wenn das das Letzte ist, was du sehen kannst, wen und was möchtest du dann betrachten, solange es noch geht?

Wenn das das Letzte ist, was du hören kannst, wem und was möchtest du dann lauschen, solange es noch geht?

Wenn das das Letzte ist, was du fühlen kannst, was möchtest du dann empfinden, solange es noch geht?

Wenn das das Letzte ist, was du erleben kannst, was möchtest du dann genießen, solange es noch geht?

Wenn das das Letzte ist, was du ausdrücken kannst, wem möchtest du dann etwas sagen, solange es noch geht?

Wenn das das Letzte ist, was dir widerfährt, was möchtest du dann noch erfahren, solange es noch geht?
Wenn das das Letzte ist, was dir bleibt, was hätte dann alles gewesen sein können, als es noch ging?

 

Nimm dir ein wenig Zeit und lass dir das durch den Kopf gehen.
Solange es noch geht.

 

Bis bald!

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