Das Wort zum Buch

Nach sehr langer Zeit habe ich mich endlich dazu durchgerungen, meine zuvor auf meinem Blog veröffentlichten Beiträge (Rohfassungen) zu revidieren, sie motivisch zu verbinden und stilistisch, aber auch inhaltlich zu optimieren.

In diesen Seiten und Zeilen steckt sehr viel Herzblut und noch mehr Überwindung, immerhin sind viele der Texte äußerst persönlich, mal präzise ausgearbeitet, mal maßlos übertrieben. Womöglich, das gebe ich gerne zu, sind sie noch immer nicht perfekt, weder grammatisch noch inhaltlich, obwohl ich der beschwerlichen Überarbeitung ausgesprochen viel Zeit zugestanden habe, aber es gibt immer den einen Moment, in dem man sein Werk nicht weiter zerreden, sondern es einfach gut sein lassen sollte und man sich anschließend Neuem widmen kann. Nichtsdestoweniger habe ich für Verbesserungsvorschläge, Kritik und Lob natürlich ein offenes Ohr und wäre dankbar dafür, vielleicht ja auch im Hinblick auf eine zweite, korrigierte Auflage bzw. Fassung.

 

Dieses Büchlein besteht aus aneinandergefügten Textfragmenten, die wiederum aus unterschiedlichen Jahren und Stationen vor und während meines Studiums stammen. Einen Lebensabschnitt, den ich trotz des erheblichen Freiraumes, der uferlosen Freizeit und des Genusses als einen merkwürdigen Schwebezustand meiner selbst empfunden habe, was sich in vielen der Kapitelchen inhaltlich zeigt.
Ich hatte während meiner Zeit als Student eigentlich fast nie das Gefühl, reifer, kompetenter oder gar sozialer zu werden, was grundlegend auch der Ausbildung an der Hochschule angekreidet werden muss, die die kommenden Lehramtsanwärter und –anwärterinnen eher schlecht als recht auf den Schulalttag vorbereitet. Diese Wahrnehmung ist übrigens keine subjektive Einzelmeinung, sondern wird von vielen Studierenden lautstark kritisiert. Bereits das Referendariat wird daher von einer großen Anzahl an Absolventen als Sprung ins kalte Wasser empfunden, alleine und ungewappnet. Faktisch von nahezu null auf hundert, von einem Moment auf den anderen.
Ganz zu schweigen von den stetig zunehmenden Herausforderungen des Berufes, welche beispielsweise durch Schlagworte wie Inklusion, Deutsch als Zweit-/Fremdsprache oder Heterogenität in den Köpfen der Studierenden zwar präsent sind, aber ihnen keinerlei (praktische) Hilfestellung zur Bewältigung dieser gegeben werden. Falls doch, sind die neuen Methoden meist nicht empirisch gestützt, abhängig von tausend Variablen, alle gemeinsam stochern im Nebel, Bildung als ideologischer Kampf zwischen starren Didaktikmodellen.

 

In gleicher Weise musste ich zusehen, wie sich, im Angesichte der euphorischen, schönen und klugen Mitstudierenden, mein eigenes Selbstwertgefühl aufgrund des ständigen Vergleichens und Verglichenwerdens nach und nach verabschiedete. Ich sah und hörte, was all die anderen alles tun und getan hatten, können und gekonnt hatten, wissen und gewusst hatten, bereisen und bereist hatten, erleben und erlebt hatten, lieben und geliebt hatten, aus welchen Verhältnissen sie stammen und aus welcher Motivation und aus welchem positiven und fast naiven Selbstverständnis sie heraus agierten. Im Anschluss fühlte ich mich seltsamerweise fehl am Platze, meine eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen kamen mir vergleichsweise irrelevant und nichtssagend vor, und ich wusste, dass ich dennoch nicht so bin und werden möchte, wie all die anderen, zu denen ich, obwohl ich gar nicht wollte, neiderfüllt aufschaute.
Ich bin immer ich selbst geblieben, auch gegen Widerstände, und musste mich dennoch erst mal finden. Ich hatte mir nie etwas aus Reisen, aus durchgehender Action und sozialer Aktivität ("socialisen") gemacht, hatte mich nie darüber definiert – doch über was konnte man mich denn eigentlich überhaupt definieren? Ich bin und war nur ein kleiner Nerd, der das Alleinsein genoss (zumindest bis es in Einsamkeit mündete), soziale Events nicht als Verpflichtung, sondern maximal als Ausbruchschance sah (wenn ich denn gerade darauf Lust hatte), sich gut mit sich selbst (und seinen Gedanken) beschäftigen konnte und auch sonst als mit eher kleinem Horizont ausgestattet galt, ein Sohn der Provinz. Ich hatte eher Angst vor der weiten Welt und ihren Bewohnern, als dass ich sie bis in jeden letzten Winkel hinein erkunden wollte. Mehr brauchte ich nie, ich war glücklich – oder sagen wir zufrieden –, auch wenn das für viele nicht zu verstehen schien.

 

Ich fühlte mich streckenweise, als wäre ich aus der Zeit gefallen, dabei war ich nur ein paar Jahre älter als die meisten meiner Mitstudierenden, aber dennoch absolut kein Teil der Generation Z, der Generation „Ich will, kann und darf alles“, ohne innere Scheuklappen und Schranken, alles wild aufregend findend, was anders, bunt und vielfältig empfunden wurde, ein völlig anderer Spirit, bestehenden Strukturen zum Trotze, kein Platz für das Solide, Normale. Offene Grenzen, offene Beziehungen, offenes Visier.
Dabei war ich doch selbst anders, aber eben weder bunt noch vielfältig, völlig in Ordnung, aber in grau, zuverlässig, verantwortungsbewusst und pünktlich, liebenswürdig, auf meiner eigene Art und Weise. Eben kein Sturm, sondern ein schwerer Felsblock mitten in diesem, bieder, altmodisch und langweilig, heillos überfordert vom Wirbel, der mich umgab. Und das aus Absicht, ich versuchte nicht, mich anzupassen, zu tun, was "in" war oder „junge Leute heutzutage ebenso tun“, in Länder reisen, die ich noch nie gehört hatte, Organisationen unterstützen, die ich nicht verstand, tausende Leute ansprechen, die ich nicht kennenlernen wollte sondern ich tat das, worauf ich Lust hatte, nicht auf das, worauf ich nach der Meinung anderer hätte Lust haben sollen – und ist dies nicht wieder in gewisser Weise rebellisch und aufregend? Vermutlich nicht.
Dazu war ich hin- und hergerissen zwischen Heimat und neuem Wahlzuhause, das abrupte Ende einer langjährigen Beziehung besiegelte die negative Tendenz meiner Formkurve, zu viel Unbekanntes auf einen Schlag, für einen trägen Gewohnheitsfanatiker wie mich. Diese rein persönliche Empfindung verlief zu meinem Glück nicht gleichmäßig, sondern in Wellen, und viele der Texte wurden an Tiefpunkten entworfen, das positive Feedback meiner wenigen Leser darauf reiner Balsam für die geschundene Seele. Schreiben hatte mir schon immer viel bedeutet, das wusste ich, und so erhielt das beinahe vergessene Hobby neuen Auftrieb, neue Bedeutung. Ein neues altes Ventil für meine Befindlichkeiten.

 

Warum veröffentliche ich diese Fragmente nun in Form eines Buches?
Zum einen, weil ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Der Einstieg ins geregelte Arbeitsleben, die äußerst positiven Erfahrungen der letzten Semester, gekrönt mit privaten und persönlichen Erfolgen, ließen mich langsam aber stetig aus dem eigens aufgeschlossenen Keller heraussteigen, in den ich mich selbst gesetzt hatte. Dieser wichtige Prozess ist logischerweise noch lange nicht abgeschlossen, aber ich fühle mich auf einem vielversprechenden Weg, zumindest hoffe ich das. Bei üppigem Gegenwind schließe ich mich noch immer zügig wieder ein, aber ich bin mir nun mehr denn je bewusst, wer ich bin, und vor allem, wer ich nicht bin, und wen das stört, soll sich gefälligst zum Teufel scheren.

Zum anderen: Durch die Zusammenstellung dieser kurzen Beiträge – und auch der beiden folgenden, wissenschaftlichen Bücher (vgl. Shop) – möchte ich mich gleichzeitig von ihnen und der eigenartig ambivalenten Studienzeit lösen, um mich frohen Mutes, selbstbewusst und motiviert – soweit das für meine Verhältnisse eben möglich ist – neuen (Schreib-)Projekten und Aufgaben widmen zu können.

 

Darüber hinaus ist ein schönes Gefühl, seine eigenen Werke im Regal stehen zu sehen. Ohne Narzisst zu sein, kann man sich durchaus daran erfreuen, meine Bücher sind für mich wie die Trophäen, Autogramme, Fotos und Postkarten der anderen. Ob sie von irgendwem gekauft werden – letztlich zweitranging. Mich spornen sie hoffentlich an, wieder mehr Zeit in das Lesen und die Schreiberei zu investieren, sei es in Buchform oder neuer Beiträge im Internet. Auch seine eigenen wissenschaftlichen Arbeiten, in die man wohl oder übel viel Zeit investieren durfte und musste, sind nun ansprechend verewigt und verschwinden nicht einfach aus dem eigenen Bewusstsein, man besitzt so, neben des Zeugnisses, noch etwas weiteres Haptisches der Studienzeit, eine schicke Erinnerung an vollbrachte Leistungen.

 

Anmerkung: Dieser Text ist ein gekürzter Auszug aus der 1. Auflage des Buches "Zugfahrten ins depressive Milieu" (2018), welches sich im Shop finden lässt.

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