Unter der Lupe: Die Dolchstoßlegende

Fake-News sind keine Erfindungen des Internets. Die Dolchstoßlegende, die während des 1. Weltkrieges vorbereitet und anschließend verbreitet wurde, lässt sich als ein historisches Beispiel anführen.

Sowohl moderne als auch historische Fake-News haben u.a. gemeinsam, dass sie einen kleinen, wahren Kern bis zur Unkenntlichkeit mit Fruchtfleisch aus Vereinfachungen, Verfälschungen und emotionaler Aufladung umschließen.

 

Ein kleiner Ausflug in die Geschichte – und in die Moderne.


Eine kleine Einführung und Begriffsklärungen

 

Die Dolchstoßlegende besagt grundsätzlich, dass die innerdeutsche Revolution im November 1918 das Weiterkämpfen des Heeres und damit die Erringung des Sieges im 1. Weltkrieg unmöglich gemacht hätte. Die Novemberrevolution, die die Monarchie in eine Demokratie (Weimarer Republik) verwandelte, wurde für die Niederlage und die nachfolgenden, harten Friedensbedingungen (u.a. des Versailler Vertrages) verantwortlich gemacht. Die Parteien und auch die Juden hätten eine sabotierende, »reichsfeindliche Gesinnung« gezeigt und das Fehlen einer politischen Führung einen Keil zwischen Heer und Heimat getrieben. Wegen fehlender propagandistischer Maßnahmen wäre die Bevölkerung außerdem dem Pessimismus bzw. Defätismus (frz. défaitisme = »Überzeugung einer kommenden Niederlage«) verfallen, was sich in zahlreichen Desertationen im letzten Kriegsjahr 1918 gezeigt und die Moral des Heeres zusätzlich ausgehöhlt hätte.

 

Obwohl es sich bei der Dolchstoßlegende laut einhelliger Meinung der Forschenden um eine bewusst konstruierte Geschichtsfälschung handelt, die der Rückeroberung des Landes durch nationalkonservative Kräfte dienen sollte, ging sie unter diesem Begriff in die Geschichtsbücher ein. Auch die damalige Gegenpropaganda bezeichnete sie ab 1920 als Dolchstoßlegende, aber nicht etwa als »Dolchstoßlüge«. Anders als eine Lüge besaß sie nämlich ein »Fünkchen Wahrheit« sowie keine aktiv-direkte, sondern eine passiv-indirekte Wirkungsmacht: Die unverbürgte, emotional aufgeladene und aufgrund ihrer Bildhaftigkeit leicht einzuprägende Erzählung, wenngleich historisch nicht sattelfest, sollte das politische Handeln und gesellschaftliche Denken langfristig beeinflussen und im Bewusstsein der (leichtgläubigen) Menschen fortleben. In dieser Weise entfaltete die Dolchstoßlegende erst Jahre nach ihrer Verbreitung ihr volles Propaganda-Potenzial - auch deshalb, weil die erwähnten Ereignisse nun einige Jahre zurücklagen und die Vereinfachungen, Halbwahrheiten und Verfälschungen der einfachen Bevölkerung nicht länger auffielen.

Das Sprachbild des Dolchstoßes ging nun in den deutschen Sprachgebrauch ein, erhielt eine starke emotionale Konnotation und war verwandt mit den Begrifflichkeiten des Verrates, der Selbstentmannung und der Redewendung des »in den Rücken fallens«. Die Nutzung des Dolches als Waffe unterstrich dabei den heimtückischen und ehrenlosen Charakter der Handlung. Außerdem besaß das Sprachbild einen Bezug zum deutschen Nationalepos der Nibelungensage (hinterlistige Ermordung Siegfrieds + Kündigung der »Nibelungentreue«), den später vor allem die Nationalsozialisten für sich zu nutzen wussten.


Die »Dolchstoßthese« und der 1. Weltkrieg

 

Die Konfrontation bzw. vermeintliche Entzweiung zwischen »Hinterland und Heer« begann 1917, als im Rahmen des Aprilstreiks erste Bürger:innen als »Verräter« und »Brudermörder« bezeichnet wurden. Die Streikenden in Berlin protestierten aufgrund unzureichender Lebensmittelrationen, was die militärische Führung als verweichlichte Haltung empfand, die auch die Kampfmoral der Soldaten beeinträchtigen würde. Die innerdeutsche Gesellschaft, so die Meinung der Heeresleitung, würde nicht zusammenhalten, sich emotional gleichgültig gegenüber der Soldaten zeigen, sich von innenpolitischen Scharmützeln ablenken lassen und damit eine siegreiche Kriegsführung gefährden.

Faktisch passierte aber genau das Gegenteil: Gerade wegen der aussichtslosen und Ressourcen jeglicher Art verzehrenden Kriegspolitik sahen sich viele Menschen gezwungen, sich in Arbeiter- und Soldatenräten zu organisieren und gegen die Politik aufzubegehren (z.B. Matrosenaufstand). Bereits 1916 erschien das Volk kriegsmüde, zerrissen von Trauer und Hunger. Die Sorge der Bevölkerung um die Front ist quellentechnisch verbürgt, sie prangerte Missstände an, forderte mehr Sold und klagte Fehler der Führung an. Verbunden blieben Heer und Heimat durch die gemeinsame Erfahrung des Hungerleidens. Die folgende Novemberrevolution hatte sich aufgrund der aussichtslosen Lage deshalb schon lange angedeutet und war eine direkte Konsequenz des Krieges. Außerdem auch eine notwendige, um den Krieg zu beenden: Die Alliierten setzten eine Demokratisierung für die Aufnahme von Friedensverhandlungen voraus, die die Oberste Heeresleitung (OHL) forderte. Und  zur Wahrheit der Novemberrevolution gehört auch, dass sowohl Kaiser, OHL und Kanzler den »Regimewechsel von oben« steuerten, um einer echten »Revolution von unten« nach russischem Vorbild zuvorzukommen. Die Dolchstoßlegende, wenngleich noch in ihrer Entstehung und ohne das entsprechende Sprachbild, blickte großzügig über wichtige Details hinweg und vertauschte bereits hier Ursache und Wirkung.

 

Es stimmt zwar, dass die beiden sich gänzlichen unterscheidenden Lebenswelten »Heimat« und »Front« im Laufe des Krieges auseinandertraten, kriegsentscheidende Risse taten sich aber nicht auf. Für die Niederlage des deutschen Heeres im 1. Weltkrieg (1914-1918) waren andere Faktoren verantwortlich:

Externe Faktoren
  • Kriegseintritt der USA
    • Grund: falsche Entscheidung der deutschen Heeresleitung (→ Beginn des uneingeschränkten U-Boot-Krieges)
  • Überlegenheit der Alliierten an Menschen und Material (→ Entkräftung der deutschen Truppen)
    • Westfront seit Frühjahr 1918 am Bröckeln, ab Juli Rückzug
    • im August schwere Niederlage in Frankreich → Eingeständnis Hinderburgs: Sieg unmöglich
 Interne Faktoren
  •  Traditionslinien preußischer Kultur (→ Überfokussierung des Militärs)
    • nationalistische Selbstüberschätzung, Festhalten am Siegfrieden
  • Fehler der politischen und militärischen Führung (z.B. U-Boot-Krieg)
    • Oberste Heeresleitung (OHL) besitzt diktatorische Vollmachten
    • »Burgfrieden« der Parteien statt präventive Oppositionspolitik
  • innenpolitische Labilität der konstitutionellen Monarchie vs. stabile westliche Demokratien der Alliierten
    • das Fünkchen Wahrheit der Dolchstoßlegende
    • aber: bis 1916 »Burgfrieden« der Parteien zur Unterstützung der Kriegspolitik

Die Dolchstoßlegende während der Weimarer Republik

 

Nach Ende des Krieges wurden die deutschen Soldaten bei ihrer Rückkehr dennoch als »im Felde unbesiegt« gehuldigt, sogar vom SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert. Unwillentlich unterstrich er mit dieser Aussage die Theorie, dass vor allem nicht-militärische Aspekte für die Niederlage verantwortlich gewesen sein müssen. Damit machte er dieses Gedankengut auch in den Köpfen der nicht-konservativen Bevölkerung publik, was ihm nur wenige Jahre später, als erstem Reichspräsidenten der Weimarer Republik, vor die Füße fallen sollte.

Die Friedensverhandlungen mit den Alliierten übernahm die neue, parlamentarisch gewählte Regierung. Sie zeichnete sich damit auch für die Annahme der harten Bedingungen des Versailler Vertrages verantwortlich, was sie ins Fadenkreuz der aus dem Hintergrund agierenden preußischen Heerführer geraten ließ. Diese hatten sich nach der Kriegsentscheidung rechtzeitig zurückgezogen, um nicht die Konsequenzen der Niederlage aushandeln bzw. tragen zu müssen, und brachten sich nun wieder in Stellung, um die militärische als auch diplomatische Niederlage auf die sich frisch im Amt befindlichen demokratischen Kräfte abzuwälzen. Sie behaupteten unter anderem, dass die Soldaten für bessere Friedenbedingungen in gesicherter Stellung hätten weiterkämpfen können. Das widersprach jedoch ihren eigenen Befehle und Äußerungen während des Krieges, in denen weder von einem »geordneten Rückzug« noch von einem »Halten der Stellung«, sondern immer nur von »Sieg oder Niederlage« gesprochen wurde. Außerdem hatte die Oberste Heeresleitung (OHL) selbst das Waffenstillstandsgesuch übermittelt, nicht etwa die politischen Akteure. Wichtige strategische Punkte an der Frontlinie waren zu diesem Zeitpunkt bereits verloren, ein langsamer Rückzug hätte hohe Verluste des sich bereits auflösenden Heeres bedeutet, wäre moralisch kaum zu rechtfertigen gewesen und hätte die eigene Verhandlungsposition wohl kaum verbessert.

Nichtsdestoweniger startete die neue deutsche Demokratie der Weimarer Republik damit mit einer (folgen)schweren Hypothek. Der verlorene Krieg hatte zwar die Demokratie ermöglicht, brachte sie aber nun gleichermaßen in Gefahr.

 

Vor allem Paul von Hindenburg (1847-1947) trug in der Anfangszeit der Weimarer Republik zur Popularisierung der Dolchstoßlegende und Polarisierung der Massen bei. Ausgerechnet er: Als allseits beliebter und vor allem für seinen Sieg gegen die Russen in der Schlacht bei Tannenberg (1914) bekannter General übernahm er 1916 die Oberste Heeresleitung (OHL) und ab 1918 die Rolle des »Ersatzkaisers«, zeichnete er sich doch verantwortlich für die gesamte Innen- und Kriegspolitik des Deutschen Reiches. Keiner wusste es besser als er, dass der Krieg bereits vor der Niederlage der Westfront verloren ging, wie ermattet und überfordert die Soldaten waren, wie die OHL das Waffenstillstandsgesuch übergab (29.9.1918), wie die Propaganda geschönte Berichte verfasste und die innerdeutsche Revolution nicht Ursache, sondern Symptom des Krieges war.

Nichtsdestoweniger behauptete er am 18.11.1919 vor dem Untersuchungsausschuss der Nationalversammlung zum Thema »Kriegsschuld«, dass er seine Aussagen des »Verrats von innen« auf die Ansichten eines britischen Generals gründe. Dieser hätte in einem Artikel der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) behauptet, "dass die deutsche Armee von hinten erdolcht worden sei". Obwohl der entsprechende General diese Äußerung im Nachgang dementierte, erregte der Auftritt in Deutschland nachhaltige Aufmerksamkeit, schließlich beglaubigte ausgerechnet ein feindlicher Soldat die Theorien Hindenburgs.

Er war damit der erste Politiker, der die schon angelegte Grundidee des verlorenen Krieges aufgrund innenpolitischer Umstände nun auf das Sprachbild des Dolchstoßes eindampfte und zuspitze, was die Atmosphäre der Weimarer Republik in den Folgejahren schwer vergiften sollte. Natürlich tat er dies aus taktischem Kalkül, ließ sich damit doch das eigene Versagen verschleiern, der ungeliebten Republik schaden, die Bevölkerung aufhetzen, die Schuld in den zivilen Bereich verorten, die Schuldigen zu Anklägern machen und die OHL als Wirkungsmacht rehabilitieren. Treppenwitz der Geschichte: Sein Plan ging auf. Es sollte ausgerechnet Paul von Hindenburg sein, der 1925 das Amt des Reichspräsidenten übernimmt und damit später zum Wegbereiter des Präsidialregimes wird.

 

Prominente Politiker und konservative Parteien riefen die Dolchstoßlegende nach Hindenburgs Aussagen ständig ins Bewusstsein der Bevölkerung. Sie ließ sich variabel und universal einsetzen: Je nach Ereignis und Absicht zielte sie großflächig auf alle tragenden Kräfte der Weimarer Republik oder diente als konkreter Angriff auf eine Partei, z.B. die Sozialdemokratie. So propagierte die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die später mit der NSDAP kooperieren sollte, im Jahr 1924 den geplanten »zweiten Dolchstoß der SPD«: Die Unterzeichnung des Dawes-Planes würde die Deutschen laut der DNVP in massive wirtschaftliche Abhängigkeit bringen und einen erheblichen Souveränitätsverlust der Republik herbeiführen.

Aber auch die linke Propaganda machte sich die Dolchstoßlegende zu nutze: Die radikale Linke bekannte sich offen zum Verrat und sah ihn sogar als dringende Notwendigkeit, um dem unmenschlichen Krieg ein Ende zu setzen. Diese Aussagen spielten den rechten bzw. konservativen Akteuren natürlich in die Karten. Die gemäßigten Linken deuteten den Dolchstoß um, sie bezeichneten das Festhalten am Siegrieden und die preußische Expansionssucht als wahren Verrat an den Soldaten. In kommunistischen Kreisen galt wiederum die SPD als Verräter der Arbeiterklasse, da keine »echte Revolution« nach russischem Vorbild in Gang gesetzt worden war. 

So oder so: Alle politischen Seiten bedienten sich des Sprachbildes und kontextualisierten es immer wieder neu. Das führte zwar einerseits zu Verwirrung, andererseits etablierte es die Kategorisierung der politische Akteure in Verratende und Verratene, wovon sich die Bevölkerung nicht länger freimachen konnte und sie nötigte, sich mit einer der propagierenden Gruppen zu identifizieren. Die Dolchstoßlegende, so könnte man formulieren, entwickelte sich zum Dolchstoß gegen die Republik.

Gründe für den Erfolg der »Dolchstoßthese« in der Weimarer Republik
  • nicht-rationales Aufnehmen der Niederlage in der Bevölkerung trotz massiver Kriegsmüdigkeit 
    • Schock, immerhin sprach die Propaganda von ständigen Erfolgen
    • Verwunderung, da keine fremden Soldaten ins Reich eingedrungen waren (keine »sichtbare Niederlage«)
  • hohes Ansehen von Hindenburg → erhöhte Glaubwürdigkeit der These
  • Unterstützung bzw. Variation der These aus allen politischen Richtungen → Verankerung im Bewusstsein der Bevölkerung
    • kaum öffentlich (wirksame) Gegendarstellung oder Aufklärung → kein Erreichen der Bevölkerung
      • Widerlegung der These durch zeitgenössische Geschichtsforschung
      • Abschwächung der These durch Untersuchungsausschuss (1919-1928): Schuld nein, Schwächung ja
  • Wirken in Zusammenhang mit weiteren Problemen der Weimarer Republik
    • Drang zur Herstellung der alten Ordnung (Putschversuche, alte Elite in neuen Rollen, Gewöhnung an Monarchie)
    • Radikalisierung, Antisemitismus
    • Nachwirkungen des Krieges bzw. der Verträge (Reparationen, besetztes Ruhrgebiet, alleinige Kriegsschuld)
    • Wirtschaftliche Not (Inflation, Weltwirtschaftskrise)
    • Mängel der Verfassung (Notstandsparagraph, leichter Übergang zu Präsidialregime möglich)

Parallel zum Aufschwung der Weimarer Republik (»die goldenen Zwanziger«) verlor die Dolchstoßlegende an politischer Kraft, da es weiten Teilen der Bevölkerung gut ging und die Republik wirtschaftlich und kulturell erblühte. Erst ab der Weltwirtschaftskrise 1929 gewann sie wieder an Bedeutung und blieb bis 1933 gesellschaftlich ständig präsent. Der Erfolg der Dolchstoßlegende verlief (wie die Wirtschaft) in Konjunkturen, sie zeigte sich besonders dann wirkmächtig, wenn gesellschaftliche und wirtschaftliche Unsicherheit vorherrschten: Nach Kriegsende, während der holprigen Gewöhnungsphase an die neue Demokratie und wieder ab der wirtschaftlichen Rezession.


Die »Dolchstoßthese« nach der Weimarer Republik

 

Während des Nationalsozialismus verabschiedete sich die Dolchstoßlegende als Propagandamittel in die Bedeutungslosigkeit, da sie politisch überflüssig wurde: Die Republik und ihre Anhänger waren beseitigt. Wirkung hatten die Inhalte der Legende aber noch immer: Während der Endphase der Weimarer Republik hatte Hitler die Dolchstoßlegende antisemitisch aufgeladen und in seinem Werk »Mein Kampf« verkündet, dass die Lehren aus dem 1. Weltkrieg nicht vergessen werden dürften. Deshalb machte er es sich nach der Machtergreifung gleich zur Aufgabe, eine zweiten Dolchstoß bereits im Keim zu ersticken: Das parlamentarisch-vielstimmige System wurde abgeschafft, die »Volksaufklärung« bzw. Propaganda dagegen hochgefahren.

Die Genese des 2.Weltkriegs und des Holocaust standen ebenfalls unter der Maxime, die Gefahren eines Dolchstoßes bzw. eine Entzweiung zwischen Heer und Heimat zu minimieren. Vermeintlich subversive, also »zersetzende« Elemente der Gesellschaft (z.B. Juden) wurden entfernt, ein Kriegstribunal zur Abschreckung möglicher Deserteure eingerichtet und sonstige »Drückeberger« ausnahmslos verhaftet bis hingerichtet. Das funktionierte: Bereits im ersten Kriegsjahr (1942) lehnten Wehrmachtsoffiziere trotz misslicher Lage Putsch- oder Attentatsversuche ab, weil sie fürchteten, in der Folge als »Dolchstößler« zu gelten. Das Gespenst der Dolchstoßlegende war also auch während der Zeit des Nationalsozialismus keineswegs vertrieben.

 

Die krachende Niederlage des Dritten Reiches war zu fatal, um eine neue bzw. zweite Dolchstoßlegende in Umlauf zu bringen. Die Alliierten verhinderten mit ihren Maßnahmen der »Re-Education« und »Entnazifizierung« sowie den Kriegsprozessen weitere Geschichtsfälschungen, noch bevor sie entstehen konnten. Die Legende des Dolchstoßes aus dem 1. Weltkrieg wurde nun ebenfalls revidiert und vollständig aufgearbeitet.


Die »Dolchstoßthese« und moderne »Fake-News«

 

Der Begriff »Fake-News« entstand im Zuge der Digitalisierung und bezeichnet absichtlich verfälschte Inhalte, die  in ihrer Sprache und ihrem Layout »echten« Nachrichten ähneln. Falschmeldungen, die unabsichtlich aufgrund von Recherchefehlern oder veralteten Wissenschaftsdaten entstanden sind, zählen nicht dazu. »Fake-News« besitzen neben einer direkten, bestimmten Wirkungsabsicht auch einen indirekten Effekt, der ab einem gewissen Punkt alle Informationen als zweifelhalt erscheinen lässt und im schlimmsten Fall des Ende der Nachrichtenkultur einläutet. Oftmals werden hierzu seriöse Nachrichtenportale mit »Fake-News«-Vorwürfen konfrontiert, um diese zu diskreditieren und die Bevölkerung zu verunsichern.

 

Folgt man Karoline Kuhla und ihren herausgearbeiteten Merkmalen für »Fake-News«, lässt sich die Dolchstoßlegende durchaus als historischer Vorläufer bzw. als historisches Beispiel betrachten: 

Politische
Zielsetzung
  • Anheizen der politischen Stimmung, absichtliche Konzeption, politische Interessen
  • Schwächung der Demokratie, Radikalisierung der Bevölkerung, Verlagerung der Schuld...
Emotionale
Themenwahl
  • Themen mit hoher Emotionalität → Erregungspotenzial
    (z.B. Flüchtlinge, »Volksverräter«, Lügenpresse)
  • Niederlage des 1. Weltkrieges + Nachwirkungen
    → explizite Betroffenheit vieler Menschen
Propaganda-
Instrument
  • Populistisches Mittel von v.a. rechten Parteien, Interessensgruppen und Akteuren (z.B. AfD)
  • v.a. Einsatz auf Seiten konservativer, demokratiefeindlicher Kräfte
 Multiple
Kontexte
  • variable Anwendbarkeit, Spezifizierung oder Ausweitung
  • ausartendes Zusammenspiel von Falschmeldungen und Gegenpropaganda
  • explizit: Schuld für Kriegsniederlage
  • Ausweitung auf Friedensbedingungen etc.
 Bekannte »Influencer:innen«
als Lautsprecher
  • bekannte und reichweitenstarke Promis, Politiker:innen etc.
    als vermeintlich seriöse Quelle
  • v.a. Hindenburg
 Wirksamkeit in
»Filterblasen«
  • besonders nachhaltig bei ausschließlicher Nutzung bestimmter Medien bzw. Aufhalten in bestimmten Milieus
    → heute: auf Nutzer:innen zugeschnittenes Informationsangebot (z.B. Facebook, YouTube)
  • fehlende Multiperspektivität, Leben in eigener »Bubble« statt Blicken über den Tellerrand
  • z.B. konservative Zeitung als einziges Informationsmedium
 Unbewusste
Wirkungsmacht
  • Eindringen ins Bewusstsein, Eingehen in den alltäglichen Sprachgebrauch (z.B. »Lügenpresse«)
  • Sprachbild des Dolchstoßes wird zum »geflügelten Begriff«
 authentische Aufbereitung 
  • Sprache, Stil, Layout in Anlehnung an »echte« News
  • z.B. in Zeitungen und Hörfunk
  • Berufung auf andere Quellen (z.B. britischer General aus der NZZ)
 Fünkchen
Wahrheit
  • Apfelvergleich: Kern der Wahrheit umgegeben vom Fruchtfleisch der Ausschmückung und Vereinfachung
  • innenpolitische Labilität als Schwächung 
    = Fünkchen Wahrheit

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