Stell dir vor, es ist Korruption und keinen interessierts

Monatelang wurde recherchiert, telefoniert und daran gearbeitet. Alles für den großen Coup vorbereitet, ein mittlerweile etablierter Namen („Football Leaks“) für spektakuläre Investigationen im Sportbereich mit neuem Inhalt gefüllt und der perfekte Zeitpunkt für die Veröffentlichung gewählt. Zu guter Letzt wählen die ‚Der Spiegel‘-Layoutgestalter/-innen ein besonders hässliches Titelbild aus. Und dann?

Der durchschnittliche Fußball-Fan – Variante 1: mittleres Alter, leicht kahlköpfig, dezent übergewichtig, Variante 2: junge Fußball-Nerds, die ihre kostbare Freizeit auf transfermarkt.de verbringen, Variante 3: eine Mischung aus beiden Phänotypen – hört sich die knappste Zusammenfassung dieser Enthüllungsgeschichte in den Nachrichten an und… gähnt ausgiebig. Und das by the way ohne den überdurchschnittlich teuren ‚Der Spiegel‘ auch nur anzurühren.

Die Ereignisse, die Vorgänge, so wenig überraschend wie zuvor transparent. Und er hat absolut gar kein Bedürfnis, darüber mehr Details erfahren zu wollen, weil er diese ekelhaften Prozedere, ausgeführt von noch schmierigeren Funktionären, schon immer geahnt hatte, nein, schon immer gewusst hatte, ohne es eigentlich wissen zu können.

 

Dieser altehrwürdige Volkssport – pardon, diese kommerzialisierte Unterhaltungsindustrie – verkommt immer mehr zu einem Strudel aus Geld- und Machtgier, die sarkastischerweise auch noch vom eben beschriebenen armen Durchschnitts-Konsumenten mitfinanziert wird: Durch das Abschließen von Pay-TV-Abos, Kaufen von Zeitschriften, Klicken auf bis in die Unendlichkeit aufgebauschten News aus der Welt des Fußballs. Jeder Pups eines Nationalspielers kann zu einem Sturm aus Scheiße ausgeschmückt werden – und diese Scheiße dann in pures Gold für die Fußballindustrie transformiert werden. Tradition, Vereine, ehrlicher Sport – Vokabeln aus der guten alten Zeit. Und damit einer vergangenen Epoche.

 

Die Gründung einer Super League? Logische Konsequenz. Zerstörung der traditionellen Ligenstrukturen, die die Anziehungskraft dieses Ballsportes definiert hatte? Geschenkt. Beinahe einmalige Top-Spiele in der Champions League, auf die man regelrecht hingefiebert hatte, einfach zum Alltag machen? Geschenkt. Kinderkacke im Vergleich zu Geld und Vermarktung. Traurigerweise würde es vermutlich sogar noch genug Menschen geben, die ihr schwer erarbeitetes Geld in den Super-League-eigenen TV-Sender stecken würden, um eine Liga der sechzehn vermeintlich bedeutendsten Mannschaften Europas sehen zu können. Beziehungsweise zu dürfen, nur dieses Satzende würde dieser heroischen Elite-Division gerecht werden.

 

Im Ernst: Ich bin überrascht, wie gemeinsam gleichgültig die eigentlich heterogene Fußball-Gemeinde dieses ganze Schmierentheater hinnimmt. Klar, etwas dagegen tun, scheint aussichtslos – und auf das ritualisierte gemeinsame Fußballschauen im TV wird eben nur ungern verzichtet. Zersplitterte Spieltage, verschiedene Anbieter, technische Unzulänglichkeiten  Grüße an Sky Go – werden toleriert, die Faszination Fußball noch immer zu nachhaltig. Man hofft irgendwie insgeheim darauf, dass die große bunte Blase irgendeinmal platzt, ohne dafür selbst etwas tun zu müssen. Ich nehme mich bei dieser Analyse übrigens nicht aus, auch wenn mein Konsum in den letzten Jahren deutlich gesunken ist.

 

Manchester City und Paris verstoßen gegen das Financial Fairplay? Surprise. Das FF als gut inszenierte Nebelkerze der hohen Fußballpolitik, um eine Monetarisierung und Elitisierung (Stichwort Super League) zu unterbinden. Herrlich absurd, dieses selbstironische Schauspiel. Geben dann die Big Player, unterstützt von windigen Scheichs und Investoren, ein, zwei, fünfzig Milliönchen zu viel aus, dehnen die werten Funktionäre die selbstauferlegten Regularien hinter den Kulissen einfach ein bisschen. Kurzes Gekicher im Hinterzimmer, Handschlag. Hat man doch auch schon immer vermutet. Besonders fies, weil Fehltritte kleinerer Teams sofort Konsequenzen haben und hatten, da die Regeln hier konsequent angewendet werden.

 

Ja, Fußball ist mittlerweile eine nicht mehr nur neunzigminütige Sportunterhaltung auf grünem Rasen, auch das ganze Drumherum entwickelt sich weiter und weiter zu einer Art postmodernen Soap, multimedial aufbereitet und inszeniert. Politik, Intrigen, großspurige Pressekonferenzen, Transfers, Prügeleien, Sex-Skandale, Korruption – alles, was den Reiz der Unterhaltung ausgemacht hat und auch heute noch ausmacht.  
Und ist der Fußball daher nicht ein geldwertes Premium-Produkt der Extraklasse?

 

Verzeiht man daher Unzulänglichkeiten, weil einem bei Wegfallen der Show etwas Bedeutendes fehlen würde und verzichtet daher auf lautstarke Kritik?
Überstrahlt die Faszination aus Sport, Politik und Identifikationsangeboten das Angewidertsein über das Business und seine läufigen Marionetten?

 

Es wird uns erhalten bleiben, das Showgeschäft Fußball. In welcher Form auch immer – es bleibt abzuwarten. Vielleicht erleben wir in den nächsten Jahren ja echte, positive Überraschungen, die den Fußball wieder zu „unserem“ Sport machen. Ich würde es begrüßen.

 

 

[Inoffizielles Nachwort]
Aber nun genug davon. Morgen Abend spielt Dortmund gegen die Bayern. Ich muss mich vorbereiten. News müssen gelesen, Aufstellungen debattiert, Marktwerte verglichen und Tipps abgegeben werden. Keine Zeit mehr. Die schönste Nebensache der Welt ruft. Ich liebe dich, Fußball.
Hoffentlich bekommen die rot-weißen Millionäre ihren Arsch hoch und lassen sich nicht deklassieren. Verdienen Geld wie Heu und spielen so eine uninspirierte Scheiße. Wieso gucke ich mir diese armseligen Querpass-Veranstaltungen überhaupt noch an? Scheiß Fußball.

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