Meme-Analyse #2: Französische Revolution

Anmerkung: Dieser Text ist ein nicht-überarbeiteter Auszug aus dem Buch "Meme vs. Karikatur" (2019), welches sich im Shop finden lässt.

 

1. Historischer Inhalt

Thematisch spielt das Meme auf die französische Militärgeschichte und besonders auf die Ereignisse der Französischen Revolution an. Erhebliche ökonomische, soziale und politische Probleme resultierten in einer Revolte des gefestigten und couragierten Bürgertums gegen das starre und reformbedürftige System der Monarchie und die daraus profitierenden Eliten. Der sogenannte Dritte Stand – darunter vor allem kleinbürgerliche Handwerker und Händler[1] – forderte dabei nicht nur Reformen, sondern grundlegende Veränderungen, wie z.B. mehr politische Partizipation, ein neues Steuerwesen, eine Verfassung und Gleichheit vor dem Gesetz – nicht aber eine Abschaffung der Monarchie, sondern eine zeitgemäße und gerechtere Version ohne absolutistische Züge.[2] Die bereits aufgeheizte Stimmung auf den Straßen entlud sich, als konterrevolutionäre Aktionen des Monarchen in die Öffentlichkeit gelangten, in massiven Demonstrationen, der Einrichtung von Bürgermilizen und Straßensperren und schließlich der gewaltsamen Erstürmung des Pariser Stadtgefängnisses (der sogenannten ‚Bastille‘)[3] am 14. Juli 1789 – der Beginn eines jahrelangen gesellschaftlichen und politischen Umwälzungsprozesses, dessen moderne und neuzeitliche Errungenschaften (z.B. die Erklärung der Menschenrechte), die die späteren Demokratien Europas nachhaltig beeinflussten, vom massiven und grausamen Gewalteinsatz zwar nicht geschmälert, aber durch ihren hohen Preis der Art und Weise doch etwas getrübt werden.

In dieser Hinsicht kann also die Aussage des Bild-Makros in diesem Zusammenhang als richtig identifiziert werden, als das ein Großteil des französischen Volkes ein politisches System inklusive ihrer politischen, adligen oder klerikalen Akteure in die Knie zwang – es kämpften also, wie bei jeder innerstaatlichen Revolution, tatsächlich Einheimische gegen Einheimische – in diesem Falle Franzosen gegen Franzosen. Der Begriff Krieg scheint aber nicht zwingend vertretbar; angebrachter ist er, wenn man die kriegerischen Handlungen Frankreichs gegen andere europäische Staaten aus Angst vor monarchischer Gegenrevolution (z.B. Österreich-Ungarn 1792, sogenannter 1. Koalitionskrieg[4]) betrachtet, also Vorgänge gegen nicht-französische Völker.[5] Auch das spätere Terrorregime Robespierres (1758-1794) war zwar gegen eigene Volksgenossen radikal und blutrünstig, nicht aber im Sinne eines klassischen Krieges, sondern einer Gewaltherrschaft. Die innerhalb Frankreichs existierenden bürgerkriegsähnlichen Zustände (ab 1793) kommen der Aussage des Memes schon eher nahe, die nun bereits in Gang gesetzte radikale Revolution mit dem Ziel einer Republik ließ sich auch dadurch kaum aufhalten.[6]

Die Behauptung des Bild-Makros unabhängig der Französischen Revolution bedarf darüber hinaus eine Klärung, seit wann überhaupt von Frankreich im heutigen Sinne gesprochen werden kann. Folgt man dem gängigen französischen Geschichtsbildes nach Merlio (2009), so gelten bereits die sieg- und ruhmreichen Schlachten von Bouvines (1214) und Marignan (1515) zum Erbe des modernen eigenständigen Frankreichs[7] - die militärische Dauerunterlegenheit wäre damit bereits widerlegt. Auch das Territorium, das das heutige Frankreich umschließt, wäre ohne erfolgreiche Kriege und Feldzüge der monarchischen Herrscher nicht denkbar gewesen.[8] Und selbst wenn man nicht diesen großen historischen Rahmen spannt, so setzen die zahlreichen erfolgreichen Schlachten unter Napoleon (1769-1821) und die kollaborativen Siege mit den Alliierten in den beiden Weltkriegen ein deutliches Fragezeichen hinter das beliebte Franzosen-Klischee. Nicht umsonst hat das Militär noch in der heutigen Gesellschaft Frankreichs einen hohen, fast mythologischen Stellenwert, begründet aus den historischen Leistungen und der Revolution – wenn auch in leicht übertriebener Weise.[9] Spätestens seit der napoleonischen Zeit erlangte das Militär Frankreichs ‚Kult-Status‘[10], der zwar abhängig von den nachfolgenden Regierungen und Regimen unterschiedlich verändert, aber immer symbolisch beibehalten wurde.

 

2. Stilmittel, Humor und popkulturelle Referenzen

Das Meme basiert auf dem in Deutschland, aber auch anderen westlichen Staaten wie den USA oder England gängigem Klischee von Frankreich als ewigem Kriegsverlierer. Wie das erste Beispiel arbeitet auch dieses Bild-Makro mit der bereits ausführlich behandelten Brechung von Erwartungen (bzw. dem Kongruenz-Inkongruenz-Schema) und dem daraus resultierenden irritierenden Humor. Die obere Zeile impliziert, dass Frankreich durchaus einen (wenn auch wirklich nur einen einzigen) Krieg gewonnen hätte und knüpft damit an das beliebte Stereotyp an, ohne es komplett zu bestätigen. Dies ruft eine Erwartungshaltung des Betrachters nach einer Begründung des Behaupteten hervor – die dann in der zweiten Zeile so gebrochen wird, dass die originäre Aussage, Frankreichs habe noch nie einen Krieg gewonnen, erneut, aber über Umwege, attestiert wird.

Ein für historische Memes typischse Gestaltungsmittel offenbart das template: Ein (möglichst) authentisches, echtes Gemälde, das zeitlich gesehen natürlich nach den dargestellten Ereignissen kreiert worden ist, fungiert als optische Untermalung der Textaussage und spricht eigene Wahrnehmungskanäle sowie Vorwissensspeicher an. Besonders Franzosen erkennen hier sofort einen Ausschnitt eines der bekanntesten Werke, welche Geschehnisse rund um die Französische Revolution abzubilden versuchte. 1833/34 von Léon Cogniet (1794-1880) fertiggestellt, zeigt das 1,89 auf 2,04m große Ölgemälde namens ‚La Garde nationale de Paris part pour l’armée, Septembre 1792‘[11] den Marsch der französischen Nationalgarde zur Armee, um die noch junge Republik zu beschützen. Die Nationalgarde, agierend unter den neuen Nationalfarben Frankreichs, wurde ursprünglich zum Zwecke einer Verteidigung der Revolution im Innern ins Leben gerufen. Während des ersten Koalitionskrieges gegen Österreich und Preußen (s.o.) agierten sie wie zusätzliche Truppen auch außerhalb Frankreichs. Ab 1798 verlor die Nationalgarde wieder deutlich an Stellenwert und erhielt lediglich Bewachungs- und Besatzungsaufgaben. Passend zur Aussage des Memes war die Nationalgarde also zu Beginn tatsächlich ein Instrument, um das Wirken reaktionärer Franzosen zu unterbinden; wirklich kriegerisch aktiv waren sie aber gegen nicht-französische Feinde der Republik – wie letztlich auch das Bild andeutet.

 

3. Aussageabsicht, Autor und Rezipienten

Der angegebene Autor kann auch in diesem Falle nicht eindeutig verifiziert werden. Die Besonderheit der Seite (‚militarylulz‘), auf der das Meme von ‚thatfmguy‘ gepostet wurde, ist aber – aus historischer und politischer Sicht – einen genaueren Blick wert. Wie der Name der gestalterisch eher semi-professionell anmutenden Webseite bereits andeutet, werden auf dieser unterhaltsame Bild-Makros zu militärischen Themen gesammelt oder eigens erstellt. In dieser Weise werden aktuelle oder vergangene militärische beziehungsweise kriegerische Auseinandersetzungen kommentiert, verhöhnt, verklärt oder stark vereinfacht dargestellt. Die Reichweite der Seite ist allerdings stark beschränkt und ihr spezielles Publikum überschaubar – was sich auch an den Upvote-[12] und Sharezahlen der einzelnen Werke ablesen lässt. Das integrierte Forum wird kaum mehr genutzt, obwohl die Seite nach eigenen Angaben von Usern für User erstellt wurde.

Im Allgemeinen lassen sich dort einige Memes zur französischen Kriegsgeschichte auffinden, die alle dasselbe Klischee bedienen. Auch ‚thatfmguy‘ postete zwei weitere Bild-Makros diese Thematik betreffend, die zu seinen erfolgreicheren (‚geupvoteten‘) Werken[13] zählen. Andere Erzeugnisse, die beispielsweise den Iran behandeln, sind bei Weitem nicht so resonanzfördernd, was die erhebliche Bekanntheit des trivialen Allgemeinplatzes zu Frankreich untermauert. Die einzigen drei Kommentare, die unter dem oben abgebildeten Meme veröffentlicht wurden, bestreiten die Aussage auf humorvolle oder ernste Weise. ‚Aurielius‘ beispielsweise merkt am 28. Januar 2016 süffisant an: „Charles Martel, William the Conqueror, Charlemagne and Napoleon would dispute this.“ Auch wenn dieser Satz ebenfalls einer historischen Richtigstellung und Auseinandersetzung bedarf, so zeigt dies dennoch, dass das Franzosen-Stereotyp zwar massenwirksam ist und großes humoristisches Potenzial besitzt, die entsprechende inhaltliche Aussage trotzdem reflektiert und nicht von allen Usern für wahr gehalten wird.

 

4. Didaktisches Potenzial

Das Meme bietet weniger inhaltliches Potenzial, dafür aber zahlreiche Anknüpfungspunkte in Bezug auf historisch bedingte Klischees von Staaten oder Völkern. Die allgegenwärtige Bekanntheit des Vorurteils von Frankreich als Verlierer in Deutschland[14] kann geschichtlich und/oder fächerübergreifend mit Gemeinschaftskunde oder Deutsch zu einer Unterrichtseinheit ‚Klischees und Vorurteile‘ aufgearbeitet werden. Die besondere Beziehung der Franzosen und Deutschen, deren jeweilige Geschichte sich mehr als nur einmal überschnitt, kann dadurch galant zum Thema werden. Bei Behandlung der gesellschaftlichen Entstehung, Verbreitung und Festsetzung solcher Stereotype können bereits behandelte oder noch zu behandelnde Themenfelder angerissen werden: So könnte es als ein modernes, friedfertiges Überbleibsel der Erbfeindschaft zwischen den beiden Staaten erklärt werden – oder das negative Bild der Deutschen aufgrund der französischen Niederlage 1870/71 und die ‚nur durch Unterstützung anderer Staaten‘ gewonnenen Weltkriege.[15] Somit würden durch eine aktuelle und allgegenwärtige Aversion historische Inhalte greifbar gemacht werden. In gewisser Weise könnte durch die Richtigstellung dieser historischen Scheinfakten auch Nationalismus vorgebeugt werden und ein Stereotyp prototypisch für alle anderen in Gesellschaft, Medien und Alltag, die historischen Bezug haben, dekonstruiert werden.

Unabhängig davon ist auch dieses Bild-Makro für die Sekundarstufe äußerst komplex und benötigt geschichtsreflexives Wissen. Auch die Auseinandersetzung mit eigenen Vorurteilen bedingt eine erhöhte Sensibilitätsreife und geschulte Reflexionsfähigkeiten. Wie beim vorherigen Beispiel scheint die Verwendung eher in hochschulischen Kreisen oder maximal der gymnasialen Oberstufe bei entsprechendem Leistungskurs und entsprechendem Interesse und Vorwissen lohnenswert. Auch wenn die Französische Revolution, auf welche das Meme hauptsächlich anspielt, konkreter und ausführlicher Inhalt des neuen Bildungsplanes[16] darstellt und ihre Bedeutung für die Gegenwart herausgestellt wird, ist das Bild-Makro nur stark eingeschränkt für unterrichtliche Zwecke in der Sekundarstufe zu empfehlen.

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[1] vgl. Haupt, H.-G.: Von der Französischen Revolution bis zum Ende der Julimonarchie (1789-1848). In: In: Hinrichs, E.: Kleine Geschichte Frankreichs. Stuttgart, 1994, S. 263

 [2] vgl. Büttner, S.: Die Französische Revolution – eine Online-Einführung. Kapitel 2: Verlauf. o.O., 2004, S. 1ff.

 [3] vgl. Ebd., S. 4

 [4] Ludwig XVI. (1754-1793) wandte sich an andere europäische Kräfte, um die Revolution aufzuhalten und damit seinen Machtstatus zu erhalten. Erst spät, als sie den Umsturz in Frankreich auch für eine Gefahr der gesamteuropäischen Ordnung identifizierten, griffen Österreich-Ungarn und Preußen koalierend ein. Der fünfjährige Krieg mit wechselnden Teilnehmerstaaten sorgte aber nicht für eine Schwächung der Revolution. Vgl. hierzu Haupt, Von der Französischen Revolution, S. 259f.

 [5] vgl. Büttner, Die Französische Revolution, S. 12

 [6] vgl. Ebd., S. 17f.

 [7] vgl. Merlio, G.: Frankreich. In: Buchstab, G./Uertz, R.: Geschichtsbilder in Europa. Freiburg, 2009, S. 42

 [8] vgl. Ebd., S. 44

 [9] vgl. Ebd., S. 47

 [10] Ebenso, wie das Militär des Deutschen Kaiserreiches nach den Ereignissen 1870/71 nationalen und verbindenden Charakter erhielt. In beiden Ländern wurde die Armee zum Symbol der nationalen Einheit nach den jeweiligen geglückten Revolutionen beziehungsweise Einheitsbestrebungen. Vgl. hierzu Vogel, J.: Militärfeiern in Deutschland und Frankreich als Rituale der Nation (1871-1914). In: Francois, E./Siegrist, H./Vogel, J. (Hrsg.): Nation und Emotion. Deutschland und Frankreich im Vergleich. 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen, 1995, S. 201-209 d

 [11] Den Urheber und Titel des Werkes war aufgrund des ausgelaufenen Urheberrechts nicht ganz leicht herauszufinden. Das Bild wird zwar in thematischen und auch sachlichen Zusammenhängen im Netz häufig verwendet, allerdings ohne konkrete Nennungen die Herkunft betreffend.

Informationen von The Athenaeum: The Paris National Guard on its way to the Army, September 1792

 [12] Vergleichbar mit einem Like auf Facebook.

 [13] Unabhängig davon, ob er sie selbst erstellt oder ‚wiederkäuend‘ verwendet hat.

 [14] Besonders salonfähig scheint das Klischee in Baden(-Württemberg), ebenfalls historisch und auch geographisch bedingt. Daher hier besonders interessant.

 [15] Davon geht das verklärende Vorurteil explizit aus: Hätte Frankreich in beiden Kriegen nicht die Hilfe von England, den USA oder Russland erhalten, wäre es in beiden Fällen ‚locker überrollt‘ worden. Den zweiten Weltkrieg betreffend war die deutsche Eroberung Frankreichs tatsächlich zügig fortgeschritten – durch rigorose Waffenstillstandsabkommen wurde Frankreich zudem ökonomisch geschröpft. Andererseits wird dabei aber häufig die alles andere als feige Résistance vernachlässigt, die den Deutschen nachhaltig mit ihren Attentaten zusetzte. Vgl. hierzu Martens, S.: Vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende des Vichy-Regimes (1914-1944). In: Hinrichs, E.: Kleine Geschichte Frankreichs. Stuttgart, 1994, S. 403-409 d

 [16] Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, Gemeinsamer Bildungsplan, S. 26

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