Spielball des Virus (und der Zahlen)

Eine kleine Corona-Chronologie der vergangenen 7 Tage.
Inklusive Wutausbruch, Schweißfontänen, Fragezeichen im Kopf und geballten Fäusten.

Montag

 

Team-Sitzung. Gemeinsame Prognose: Fernunterricht vorbereiten. Zahlen sprechen dafür. Schade, aber vermutlich richtig.

 

Mittwoch

 

Schreiben der Politik: Ach, 190er-Inzidenz im Landkreis, drauf geschissen, macht auf die Hütte! Denn 200 ist das neue 100, und 100 war stellenweise sogar 50. Tja, die hohe Mathematik der wissenschaftlich-statistischen Zahlen. Irrationale Zahlen, könnte man fast sagen, zwinker.

 

Team-Sitzung: Ungläubiges Staunen, gemeinsames Umschwenken: Ausrichtung auf analogen Unterricht. Jedoch für eine unbestimmte Anzahl Kinder. Tests, Masken, Angst, Uneinsichtigkeit, Egoismus, Verzweiflung, Wut, Mut, Müdigkeit, welcher Grund auch immer: Da bleiben ein paar auf der Strecke, auf die eine oder andere Weise. Zwei-Klassen-Gesellschaft. Beziehungsweise Zwei-Klassen-Klasse.

Organisation des Wahnsinns: Testungen zu Hause oder vor Ort? Genügend vorhanden? Wo, wann, wie, wer? Nasebohren erstmal(s) Pflicht an deutschen Schulen. Und für all die, zu Hause bleiben: Wie die Versorgung sicherstellen? Wie, wann, wer, was? Anschließend: Kommunikation mit den Eltern.

 

Freitag

 

Schreiben der Politik: Empfehlung, keine Anordnung, Empfehlung! Da Inzidenz knapp bei 200, vielleicht doch lieber nicht öffnen, macht Sinn oder? Lieber Vorsicht als Nachsicht.

 

Team-Sitzung (Notfall): Und nun? Alle Planung über den Haufen werfen - verantwortungsvoll gegenüber den Zahlen (und damit der Gesundheit) sein? Oder bei der Planung bleiben - zugunsten der sozialen Gesundheit der Kinder, teils auch der Lehrkräfte und der Familien? Und was passiert, wenn sich Corona bei uns einnistet und wir trotz gegenteiliger Empfehlung geöffnet haben? Wird dann mit dem Finger auf uns gezeigt? Fuck. Kommunikation untereinander, mit den Ämtern, mit den Eltern. Pro & Contra. Zwischen Angstschweiß, Vernunft, Herz, Verzweiflung. Aaargh. Wochenende gefühlt rum. Vorsicht angebracht, dass sich diese Unsicherheit nicht zwischen den Parteien (Schule, Eltern, Kinder) entlädt. Was denken die eigentlich - dass sich der (aktuelle) Schulalltag in zwei Stunden organisieren lässt?! Von dem Aufwand für die Eltern, ihre Arbeit und die Kinderaufsicht unter einen Hut zu bringen, mal ganz abgesehen.

 

Samstag 

 

Erneutes Schreiben der Politik: Überraschung, wir arbeiten auch am Samstag. Tschuldigung wegen gestern. Sollte nicht so rüberkommen. Bleibt bei eurer Planung, es bleibt bei der Zahl 200, also alles technisch im Reinen. Zahlen sind uns am Wichtigsten, habt ihr gemerkt, ne?

 

Team-Sitzung: Entscheidung, bei Absprachen von Mittwoch zu bleiben, kalter Schweiß. Großteil (nein, nicht schon wieder Statistik!) aller Beteiligter ist dafür. Irgendwie Vorfreude auf „echte Schule“ mit „echten Kindern“, aber auch Respekt vor dem erneut veränderten Schulalltag. Und vor allem: Respekt vor den Kindern, die in der schönsten Zeit ihres Leben das alles mitmachen, tolerieren, akzeptieren müssen. Aufgrund einer Sache, die selbst die wenigsten Erwachsenen vollständig begreifen können, sowohl auf politischer als auch wissenschaftlicher Seite. Und ob die Maßnahmen greifen oder nicht, was das Beste sein könnte, wie wir uns aus dieser scheiß Nummer endlich befreien können. Ich weiß, alle (auch und vor allem die Entscheidungsträger) sind damit (noch immer) überfordert - und das macht per se auch nichts, Überfordertsein ist in Ordnung und gehört dazu. Aber... LECKT MICH ALLE MAL AM ARSCH MIT DIESEM HIN UND HER! Wochenende ziemlich rum.

 

Sonntag

 

Nachricht: Nur knapp 50% der Kinder kommen. Dürfen kommen, sollen kommen, wollen kommen. Zu viel Verwirrung, zu viel Angst, zu viel LECKT MICH ALLE MAL AM ARSCH MIT DIESEM HIN UND HER?! Wut, Ärger. Digitaler und analoger Unterricht gleichzeitig nicht möglich, kein Personal. Dann halt doppelte Arbeit, nice.

 

Auf der einen Seite: Endlich wieder mit (ein paar) Kindern arbeiten, spielen, lachen, witzeln. Wenngleich unter besonderen Umständen, weniger Freiheit, weniger Offenheit. Auf der anderen Seite: Was passiert mit den anderen? Von denen ich seit Jahresbeginn (!) nicht viel kenne, außer ein paar nichtssagende, geistlose Arbeitsprodukte, ohne den Prozess dahinter sehen zu können? Die seit 5 Monaten ohne ihre (komplette) Klassengemeinschaft auskommen mussten. Frustration unsererseits, nicht für alle ein taugliches Angebot schnüren zu können. Oder schnüren zu dürfen. Schuldsuche. Hilfesuche. Bis spät in die Nacht. Wochenende schon lange rum. Das zweite Jahr unter Corona-Bedingungen scheint alle mürbe gemacht zu haben.

 

Montag

 

Auf dem Weg zur Schule im Radio: Raffinierte Idee seitens der Politik - Unterricht im Freien. Ich schaue auf das Display - 3 Grad. Und frage mich, wie groß andere Schulhöfe sein müssen, um auf so eine Idee überhaupt kommen zu können.

 

Versuch, den Schulalltag zu genießen. Das Etwas schätzen zu können und nicht immer an das große Ganze denken zu müssen. Besser als nichts, oder? Weiß nicht. Es geht nicht um mich. Es geht nicht um die Lehrer (aber auch!), es geht nicht um die Eltern (aber auch!), es geht um die Kinder. Und während 50% alleine daheim vor dem PC sitzen, sitzen 50% verunsichert im Klassenzimmer. Wo ist der Rest? Warum ist das alles so komisch, was ist hier eigentlich los? Auch der Lehrer ist ganz komisch, er scheint zu hadern, ob er uns mit Arbeit zupumpen soll (Zeugnisse, Tests schlafen ja nicht... die gleiche Politik, die ständig Schulen schließt, verlangt sie!) oder ob er uns einfach unser soziales Zusammensein genießen lassen soll.

 

Meine Aussage, um Hoffnung zu machen: Keine Sorge, wir sind bald alle wieder zusammen, das klappt dieses Schuljahr noch!

 

Nachricht aus der Politik: Inzidenz für Schulen wird (aller Voraussicht nach) auf 165 runtergesetzt. Danke, dass ihr euch für 3 Tage mal wieder den Arsch aufgerissen habt!

 

Schön, wir sehen uns tatsächlich echt wieder alle, sogar ganz schnell! Nur halt am PC. LECKT MICH ALLE MAL AM ARSCH MIT DIESEM HIN UND HER! Möglicherweise wird diese Woche sogar so wie die letzte. Klammern an Zahlen, sind es vielleicht gerade 164? Waren es jetzt wirklich drei Tage in Folge? Das heißt, wir machen den übernächsten Tag zu. Außer die 200 bleibt.

 

Dann doch lieber entweder A oder B. Nicht dieser Mischmasch aus AB, BA, nicht Fisch, nicht Fleisch, nichts Ganzes, aber zweimal Halbes. Mit Sicherheit, gesundheitlich und organisatorisch. Mit Perspektive, die sich nicht auf 3 Tage beschränkt.

 

Trotz allem: Hilft ja nichts. Stark bleiben. Zusammen schaffen wir das! Irgendwie.

Was uns die Zeit dann doch lehrt, vielleicht auch im Sozialen: Wir treten alle kürzer, um die Schwachen zu schützen. Wir nehmen Rücksicht. Wir stellen das „Ich“ zugunsten eines „Wir“ hinten an. Das ist auch richtig. Gesundheit geht immer vor. Auch wenn es auf Dauer nervt. Nur: Mittlerweile nervt es zu heftig, alle sind am Anschlag. Keiner weiß mehr, wohin mit sich, was gilt, was zu beachten ist, was stimmt und was nicht, was wirklich relevant ist und was nicht. Und wenn wir uns nun alle deswegen auseinanderdividieren (lassen), hat das schwerwiegendere Folgen als jedes Virus. Mein Wort zum Montag. Nach dem Dampfablassen folgt die Versöhnung, aber ich ahne...

 

Dienstag

 

... LECKT MICH ALLE MAL AM ARSCH MIT DIESEM HIN UND HER!

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