Wenn | Dann

Weitermachen oder aufhören? Neu starten oder abschalten?
Ein kleiner Text über das Ende von Beziehungen.

Wenn du Silvester alleine verbringst, über deinem großen Dachfenster eine bunte Rakete zündet, aber das eigentliche Feuerwerk in deinem Kopf abgebrannt wird...

 

Wenn ohne Gesellschaft trinken plötzlich nicht mehr verwerflich, nicht länger als Problem, sondern als Lösung erscheint...

 

Wenn sich all die schönen vergangenen Momente hinter einer teuflischen, ironischen Maskerade verstecken...

 

Wenn du deine schäbige Bierdose noch vor dem Austrinken cholerisch zerdrückst, weil deine Finger als Blitzableiter deiner Wut fungieren...

 

Wenn die SD-Karte deines Smartphones nun wieder ganz viel freien Speicherplatz für neue Bilder besitzt, weil die alten Alben und Fotografien auf dem digitalen Dachboden entrümpelt werden mussten...

 

Wenn das nicht ganz der Wahrheit entspricht, weil du das Verarbeiten noch nicht begonnen hast und den unumkehrbaren Löschvorgang noch nicht übers Herz bringst...

 

Wenn du ständig schaust, ob sie online ist (ist sie!) und du dir vergeblich Nachrichten ersehnst, wie in der guten, alten Zeit, wie damals, als die Gräser der Verliebtheit noch grün waren, bevor Entfremdung, Alltag und Unzufriedenheit die nötigen Nährstoffe und das überlebenswichtige Wasser entzogen...

 

Wenn du dir lieber nicht ausmalen möchtest, wer die Nachrichten stattdessen bekommt, wer ihre neue Liebe ist, mit wem sie über dich lästert, mit wem sie sich ablenkt und mit wem sie in die Zukunft blickt, die früher die eure war...

 

Wenn du den Anschluss an sie und ihr Leben verlierst und ein Gefühl des ewigen Verlierens sich anschließt...

 

Wenn sich dein Blatt Papier beim Schreiben dieser Zeilen wellt und die Tinte deines Stifts in den salzigen Pfützen ertrinkt...

 

Wenn die Katze verunsichert vor der Haustüre sitzt, in stummer Erwartung, hilflos, tagelang, schrecklich maunzend, und nicht länger weiß, zu wem sie gehört und was eigentlich passiert...

 

Wenn sich dein Zuhause nun auf der falschen Seite der Türe befindet, wo auch immer das genau sein mag; wenn dein Körper als Umzugskarton deiner verrosteten Gefühle eine neue, zumindest temporäre Bleibe sucht...

 

Wenn nicht mehr von »uns« die Rede ist, sondern von »dir« und »mir«, wenn nicht mehr von »Sollen wir?« gesprochen wird, sondern von »Warum haben wir nicht?« oder »Hätten wir mal!«...

 

Wenn sich alle Gegenstände der Wohnung, vom Löffel bis zum Schrank, links und rechts aufstellen, wie zwei spinnefeinde Parteien, sich gegenseitig abschätzig betrachten, sich den Krieg erklären, von nun an getrennte Wege gehen...

 

Wenn die Scheibenwischer deines Autos nicht gegen das Wasser auf deiner Brille ankommen, während du dich rasend vom Tatort entfernst...

 

Wenn du stundenlang die weiße, poröse Wand anstarrst, während der natürliche Projektor namens Gehirn seine Erinnerungen auf ihr abspielt, nicht hochaufgelöst, aber dich auflösend...

 

Wenn es für Dinge, die sich angebahnt und abgezeichnet hatten, die eintreten mussten, dennoch nie den richtigen Zeitpunkt gibt...

 

Wenn dir Hand- und Fußfesseln abgenommen werden, aber du nicht weißt, wie du mit der neu gewonnenen Freiheit umgehen sollst; wenn die Knasttüren sich öffnen, Licht in den toten Raum dringt, aber du einfach geblendet sitzen bleibst...

 

Dann folgt lautes Ein- und Ausatmen, ein hechelndes Keuchen des Körpers, dann rollen Tränen wie Lawinen den Hang deiner Wangen hinab, bis sie wutentbrannt auf den Tisch platzen...

 

Dann erste Selbstgespräche, erste Ausflüchte, erste Realitätsverweigerung: Alptraum, natürlich, das alles muss ein Alptraum sein, nicht anderes, wach auf, alles ist gut...

 

Dann ein blindes Hämmern auf den Tisch und gegen Wände, bis die Knöchel bluten; dann taubes Schreien, bis die Luft aus den Lungen unter Krämpfen versiegt...

 

Dann mischt sich die Hilfslosigkeit in den Streit der Emotionen ein, die Angst vor Veränderung thront dabei als Schirmherrin über dem Gefecht...

 

Dann wird die Vergangenheit verklärt, die einfache Lösung gesucht, Fehler vorschnell verziehen, Probleme ignoriert... können wir nicht doch noch mal, sollen wir nicht einfach, ist alles wirklich so schlimm?

 

Dann kommen die Vorwürfe, die Panik schaltet sich ein, die Unverhältnismäßigkeit, die falschen Schlüsse, die Pauschalisierung, die Überempfindlichkeit, die Übertreibung. Wie lange hat sie den anderen schon? Warum ist der besser als ich? Warum sind immer alle besser als ich?!

 

Dann wird das Handy zum Spionage- und Überwachungsgerät, es werden völlig paranoid Informationen gesammelt, Menschen gegoogelt, Rachepläne geschmiedet, Foren durchstöbert, Bekannte angeschrieben, in der Hoffnung auf Unterhaltung, Antworten, Erheiterung, auf ein Ventil, auf einen Boxsack, auf einen Verbündeten, auf eine Lösung...

 

Dann ein erneutes, lautes Ein- und Ausatmen, ein wahnhaftes Zittern des eigenen Körpers, der unter der psychischen Belastung, den inneren Schmerzen und dem Flüssigkeitsmangel leidet....

 

Dann Hoffnungssuche (Hat sie überhaupt einen anderen?), das Wiederkehren falsch angelegter Sympathie (Geht es ihr gerade wie mir?), mit einem fließenden Übergang zur irrationalen Selbstkasteiung (Ich bin an allem schuld!)...

 

Dann ein Moment der Ruhe, bevor das Karussell eine neue Runde dreht, bevor Mutter Einsicht und Vater Vernunft dich endlich abholen, an die Hand nehmen und ins Bettchen bringen...

 

Denn wenn dies alles real und unwiderruflich sein sollte...                                               

... dann neues Kapitel oder neues Buch?

...dann Reboot oder Shutdown?

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