Leseprobe II: Referendariats-Bashing in bunten Analogien

Die folgenden Textauszüge stammen aus meinem in Kürze erscheinenden dritten Buch ("Zwischen den Fronten - Warum ich dem staatlichen Schulsystem den Rücken kehren musste"), welches meinen Weg zum Lehramt beschreibt – und meine Abkehr davon. Nur um dann doch wieder Lehrer zu sein. Nun, lange Geschichte. Lang genug für ein Büchlein jedenfalls.

 

Über das Ziel eines offenen, individualisierten Unterrichts im Spiegel des sich wehrenden Systems und die daraus resultierenden mittelprächtigen empirischen Ergebnisse:

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Die Ansätze klingen sehr lohnenswert, stellen die Schüler statt die Inhalte in den Mittelpunkt und verinnerlichen die voranschreitende Individualisierung der Bevölkerung – sie stoßen aber an die Grenzen des sich wehrenden Systems, seiner Grundmuster, Voraussetzungen und Spielregeln.

Auch ein Pep Guardiola kann trotz genialer Ideen seinen charakteristischen Tiki-Taka-Fußball nicht umsetzen, wenn er und sein Team auf einem von Maulwurfshügeln übersäten Acker trainieren, mit veralteten, unaufgepumpten Lederbällen üben müssen und sie nicht auf die Unterstützung zahlreicher Vertrauter und Mitarbeiter setzen können. Wenn dieses Team entgegen der äußeren Widrigkeiten dennoch versucht, schönen und anspruchsvollen Fußball zu spielen, ist es nicht unwahr-scheinlich, weniger Erfolg zu haben als die Mannschaften, die weiterhin ihren bäuerlichen Kreisliga-Rumpel-Fußball spielen, weil es die Qualität der Rahmenbedingungen – hier z.B. des Rasens, des Materials und der personellen Infrastruktur – nicht anders hergibt. In identischer Weise wird es schwer, von Spielern, die jahrelang einer grobschlächtigen Hau-Ruck-Taktik untergeordnet ihr primitives systemkonformes Hand- bzw. Fußwerk erlernen mussten, plötzlich zu verlangen, ihr individuelles Potenzial abzurufen, kreative Entscheidungen auf dem Platz zu treffen und in funktionaler Ästhetik und Freiheit zum Ziel zu gelangen.

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Über den Aufbau und die Struktur des Referendariates:

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Als alter Nerd suche ich natürlich sofort nach Videospiel-Analogien, und das vom Staat gepublishte Spiel ››Refident Evil‹‹ (autsch!) ist scheinbar irgendwie sorglos durch die Qualitätskontrolle gerutscht. Denn das erste Level ist merkwürdigerweise der schwierigste – wie beim guten alten Driver das ››verpflichtende Trainingslevel‹‹, welches viele Bildschirme auf dem Gewissen hat. Nicht nur deshalb, weil dir niemand die Steuerung erläutert, nein, man marschiert durch schlauchige Endlospassagen, besitzt keinerlei Entscheidungsfreiheit, wird ununterbrochen willkürlich von kleinen fiesen Monstern attackiert und vor wildeste Herausforderungen und Quests gestellt, bei denen im Hintergrund rücksichtlos die Uhr des Lebens tickt – wer nicht weiterspielt, verliert. Und Pilze darf man sich hier auch keine einwerfen, um Feuerbälle werfen (das wäre toll gewesen!) oder einfach davonfliegen zu können (auch okay).

Hat man das hinterhältige erste Level dann aber endlich gepackt, kann man etwas Durchatmen. Im Anschluss wird das Spiel Abschnitt für Abschnitt intuitiver, weil das Spiel mehr Luft zum Atmen und für Eigenständigkeit lässt - und man die Steuerung und die Abläufe verinnerlicht hat. Das ist aber relativ: Der Schwierigkeitsgrad bleibt weiterhin satanisch.
Eigentlich auch irrelevant, denn: Bei vielen flimmert bereits vor Erreichen des zweiten Levels ››Game Over‹‹ über den Bildschirm. Oder es zwingt dich, sadistisch wie es ist, das erste Level nochmal, aber bitte besser zu bestehen. So auch bei mir – und ich pfefferte den Controller deshalb pissig in die Ecke, bis ich ihm heulend nachlief, weil ich kein Geld für einen neuen besaß. In derselben Sekunde kam aber auch ein merkwürdiges Gefühl der Befreiung in mir auf, immerhin hatte ich meinen Avatar selbstbestimmt sterben lassen und sah ihm mit einem gruseligen Grinsen dabei zu. Ja, stirb doch! Niemals würde ich diesen programmierten Rotz zu Ende bringen wollen. Scheiß Spiel.

Eigentlich beginnt das Elend sogar schon in Level 0, beim Installieren des Spiels: Nämlich der Zuweisungslotterie. [...]

Da geht der Stress schon los, bevor das Referendariat offiziell startet. Oder – im Geiste der Entwickler – etwas positiver formuliert, könnte man es auch als eine Art Tutorial begreifen, welches einem die wichtigsten Spielelemente – nämlich Leid und Ärger – eindringlich vorstellt. Schließlich bereitet es die kommenden Monate der Qualen und der Belastung geschickt vor, sodass jeder Beteiligte spätestens jetzt genau weiß, worauf er sich eingelassen hat und sich doch bitte niemand mehr beschweren möge, weil Trailer oder Handbuch doch angeblich etwas anderes versprochen hätten.

Liebe sadistische Dark Souls-Gamer und Flappy Bird-Hänger, gebt euch doch mal das!
Dann startet es.
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Nun ist man drin, das Abspeichern nur noch an vorgegebenen ››Checkpoints‹‹ möglich – auch Ferien genannt. Es gibt kein Zurück – zumindest fürs Erste.  
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Über den Aufwand während des Referendariates:

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Erreichst du dann wieder die aus der Zeit gefallene Eingangstür der maroden Schule, musst du – entgegen deiner inneren Erscheinung – deine ››Maske des schiefen Grinsens‹‹ aufsetzen (die ja auch viele Kollegen tragen), eine gute Miene zum bösen Spiel vorgaukeln, weil du ja allen Beteiligten zeigen musst, wie sehr du für diesen Beruf brennst (dabei wünschst du dir nur, dass diese gottverdammte Schule brennt!), du musst es allen Recht machen wollen, du musst hoch-, nein, übermotiviert sein, du musst dich selbst vergessen wollen und dich ganz und gar dem Schuldienst verschreiben, dem gleichen Schuldienst, in dem das Chaos tobt und dich keiner anlächelt, in dem komischerweise auch keiner der anderen motiviert und gut gelaunt arbeiten möchte und sich alle ebenfalls danach sehnen, dass diese gottverdammte Schule endlich brennt.

Aber das darfst du natürlich nicht sagen, denn wenn du Kritik äußerst, verspielst du Kredit, deine Motivations-Skala wird (zusätzlich von außen) herabgesetzt, dann geht der Stress, die Panik und die personenübergreifende Unzufriedenheit erst richtig los. Um dies zu vermeiden, wirst du in den Perfektionismus getrieben, du opferst all deine verbliebenen Krümel an Zeit, verlernst, Fünf mal grade sein zu lassen, nur, damit dich jeder oberflächlich mag – nein falsch, damit du ein Bild von dir zeichnest, dass die diabolischen Ausbilder von dir sehen wollen, aus ihrem elitären Zinntürmchen heraus, der von den schwarzen Raben des Zynismus, der Kungelei und der Missgunst krähend umflogen wird. Per Bote, der pompös und beinahe in Zeitlupe die lange Wendeltreppe des pädagogischen Olymps herabschreitet, erhältst du Post. In blutroter Schrift endet der Brief mit den Worten: „Du gehörst nun uns. Verkaufe uns deine Seele und vergiss den Rest.“

[...]

Und, um eine andere Analogie zu bemühen, kam ich mir vor wie ein Fußball während eines Spiels, welches als Partie der Bundesliga verkauft wurde, aber Kreisklasse beinhaltete (vergleichbar z.B. mit Hertha BSC gegen den SC Paderborn). Man wird von beiden Seiten lieblos, hoch und weit geschlagen, mit einer gehörigen Portion Zweckoptimismus und der Hoffnung, dass sich damit irgendwie irgendeine zufällige Torchance ergibt, weil man selbst so gar nichts mit dem Ball anfangen kann. Und das auf einem Rasen, der einem maulwurfshügelübersäten Acker gleicht, ein richtiger Stellungskrieg, alles und jeder nimmt Schaden – oder wird zumindest schmutzig. Und als Ball lässt man sich nun uninspiriert hin- und herbolzen und denkt, völlig unfähig zur Einflussnahme und kurz, bevor dir die Luft ausgeht, ach wäre ich doch nie von kleinen Kinderhänden gefertigt und überteuert verkauft worden. Keine Taktik zu erkennen, keine Strategie ersichtlich, alle Beteiligten nach dem Motto: „Nimm du ihn, ich hab ihn sicher!“

Dabei wird so viel von dir erwartet – raffinierte Spielzüge, Tiki-Taka, Traumtore, elegante Flugkurven – aber keiner hilft dir dabei, keiner nimmt dir etwas ab, behandelt dich artgerecht, zeigt wie es geht. Vielleicht, weil es selbst niemand drauf hat. Alle Spieler versuchen, schadlos über die 90 Minuten zu kommen, und ein 0:0 gilt als bahnbrechender Erfolg, wird traurigerweise als Maximalziel angegeben, weil ››die Umstände‹‹ (z.B. verletzungsanfälliger Kader) nicht mehr zulassen. So lange, bis endgültig die letzte Luft aus dir entweicht, du in ein zerfleddertes Ballnetz wanderst und hoffst, dass du nie mehr rausgeholt und wieder aufgepumpt wirst.

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