Leseprobe III: Das Studium? Ein schlechter Aprilscherz!

Der folgende Text ist ein Auszug aus meinem in Kürze erscheinenden dritten Buch ("Zwischen den Fronten - Warum ich dem staatlichen Schulsystem den Rücken kehren musste"), welches meinen Weg zum Lehramt beschreibt – und meine Abkehr davon. Nur um dann doch wieder Lehrer zu sein. Nun, lange Geschichte. Lang genug für ein Büchlein jedenfalls.

 

Gleich vorneweg: Ja, die Etappe des Studiums empfinde ich auch im Rückspiegel betrachtet als eine herrlich bunte Zeit. Als eine freie, ent-spannte und sorglose Zeit noch dazu. Sie brachte so viele schöne, zurückblickenswürdige Tage hervor, die man seinen liebsten Hobbys verschreiben konnte – selbst wenn man nur eines besaß und dieses ››gepflegtes Nichtstun‹‹ hieß – und kreierte wöchentlich lange Nächte, an die man sich bereits am nächsten Morgen nicht mehr erinnern konnte. In diesem merkwürdigen, aber auch angenehmen Rhythmus schaute man aus der Komfortzone heraus zu, wie die Jahreszeiten munter durch-rotierten und aus theoretisch möglichen acht Semestern plötzlich mindestens zwölf wurden.

Aber irgendwie trug man während dieses Lebensabschnittes immer ein launisches Teufelchen auf der eigenen Schulter spazieren, welches, wenn man es denn hören konnte oder wollte – falls man gerade nicht schlief oder feierte – neckisch ins Ohr flüsterte: „Hey, findest du nicht auch: Irgendetwas kann hier doch nicht ganz stimmen. Wie soll man sich bei diesem betreuten Däumchendrehen, welches sich Ausbildung und sogar Studium schimpft, auch nur in geringster Weise auf den Job vorbereitet fühlen? Du studierst doch irgendwie einfach so ins Blaue hinein! Und dafür lässt du auch noch deine Eltern blechen?! Wer ist hier der Teufel?“ Puh, zum Glück schlief oder feierte ich die meiste Zeit.

In meinen wachen, reflexiven Momenten ahnte oder wusste ich sogar genau, wie sehr dieses kleine rote Teufelchen Recht hatte, vor allem, weil auch viele Kommilitonen dieses Gefühl teilten. Kaum jemand nahm das Studium und seine Verpflichtungen so richtig ernst, man vollbrachte es so nebenher; der eigentliche Nebenjob, um sich finanziell über Wasser halten zu können, oder das Feiern, welches das erwirtschaftete Geld sofort wieder rücksichtslos verschlang, konnten mit Fug und Recht eher als die offiziellen hauptberuflichen Tätigkeiten bezeichnet werden. In dieser Weise verbrachte ich definitiv mehr Zeit im Einzelhandel – steuerte schließlich Moneten, also Sinn bei – oder in den Studentenkneipen meiner Wahl – sorgten schließlich für Spaß und stellten einen bequemen Grund mehr bereit, auszuschlafen und sich die unnützen Vorlesungen zu sparen.

Aber aufhören, trotz aller Bedenken und des offensichtlich fehlenden Nutzens? Ach Quatsch, jetzt war ich doch schon mittendrin, ruckzuck sind zwei Jahre irgendwie an mir vorbeigeflogen, das wäre ja dann nun wirklich voll die verschwendete Zeit gewesen, jetzt die Segel zu streichen. Hust. Und, mal ehrlich, das Studentenleben war so angenehm und voller Vorzüge, ich erwähnte es bereits, das konnte und wollte ich nicht so einfach freiwillig opfern. In keiner anderen mir vorstellbaren Art und Weise hätte ich den mangelnden Willen zu arbeiten so schön verpacken können, dass mir meine Verwandten sogar großzügig auf die unangenehm berührten hängenden Schultern klopften und offensichtlich stolz auf mich und mein Tun waren. Die üblichen (leider gerechtfertigten) Gags über faule, nichtsnutzige Studenten ausgenommen. Wenn die geahnt hätten…

Dabei war das Studieren streng genommen nichts anderes als eine gesellschaftlich angesehene Variante des Hartzens – und das in Zeiten, in denen jeder Depp und jede Deppin studieren darf, muss oder will.

[...]

 

Obwohl man keine große Kapazität für die Irrungen und Wirrungen der Prüfungsordnung aufwenden musste – abgesehen von organisatorisch-bürokratischen Angelegenheiten, die man der hauseigenen semi-professionellen und semi-eingespielten Verwaltung verdankte –, obwohl der tägliche Fokus vielen Dingen, aber eigentlich nie den Inhalten des Studiums galt – die Wissenschaftliche Hausarbeit und das Büffeln fürs Examen ausgeklammert –, wurde man irgendwie mitgeschwemmt. Aber nicht wie ein unachtsamer Schwimmer von einer gigantischen Monsterwelle weggespült wird, sondern wie eine Raupe auf einem strahlend grünen Blatt, welche per strömungsentspanntem Fluss bequem von A nach B getragen wird und trotz aller Ungläubigkeit tatsächlich unbeschadet wieder an Land geht.

Man machte keinerlei Hausaufgaben, man ignorierte bis belächelte den theoretisch vorgeschlagenen ››Workload‹‹ (Anwesenheitszeit plus eigenverantwortliches Selbststudium) von x Stunden pro Fach gekonnt, man tat effektiv nichts, außer hin und wieder den leblosen Körper geistesabwesend in lästigen Pflichtseminaren zu parken – und erreichte dennoch alles. Locker, unaufgeregt, aus der Hüfte heraus. Und dies trug man absurderweise sogar zur Schau: Während die Kommilitonen der benachbarten Fachhochschule sieben bis zehn Prüfungen pro Semester schreiben durften – ohne dies jetzt mit Lerneffekten, besserer Lehre und Sinnhaftigkeit gleichsetzen zu wollen –, lief man vor Überheblichkeit (oder Scham?) rot an und entgegnete: „Hey, aber ich muss eine (!) Hausarbeit schreiben. 12 bis 15 Seiten. Mache ich dann glaub‘ in den Semesterferien. Oder so. Irgendwann halt. Thema ist eigentlich auch egal.“ Tatsächlich flogen die Studierenden in diesen dann aber scharenweise aus, gingen auf Reisen oder verkrochen sich wieder in ihren Heimathäfen – es gab sonst auch nicht viel zu tun, auch keine feucht-fröhlich geselligen Events mehr, das Städtchen wie ausgestorben, die Rentner wieder an der Macht.

Dabei verschwieg man willentlich, dass das Semester an sich heimlich bereits Semesterferien waren. Man besuchte halt ein paar Vorlesungen und Seminare hier und dort, meistens nur die erste und die letzte Woche, für das Gewissen, für enttäuschte Gesichter nach der Durchsicht des Seminarplanes oder für benötigte Unterschriften, auch, weil es die damalige Prüfungsordnung aus dem Jahre 2011 (die sogenannte PO2011, die 2015 schon wieder abgelöst wurde) einfach grundsätzlich erlaubte: Es existierte nämlich keinerlei Anwesenheitspflicht. Traurigerweise wusste man bei den meisten Veranstaltungen von Beginn an, dass diese Vorlesungen und Seminare persönlich sowie beruflich keinen Fortschritt bedeuten würden, was die Grundmotivation, vor Ort sein zu wollen, nicht wirklich steigern konnte. War jedoch digital vermerkt, dass man diese oder jene Veranstaltung ››gebucht‹‹ hatte, galt diese automatisch auch als aktiv besucht und damit abgehakt. Hin und wieder agierte man als kommender Sekundarstufenlehrer sogar trotz dieses einträglich leichten Lebens so spöttisch-arrogant, dass man sich über die Grundschullehramtsstudierenden erhob und formulierte, dass diese doch eh nur basteln und laminieren lernen würden – ohne dabei zu realisieren, dass diese immerhin basteln und laminieren lernten. 2:0 für die Grundschule.

Manchmal konnte man sich wahrlich nur schwer im eigenen Spiegel betrachten – falls es die wohnliche Situation in verwinkelten, zugig-baufälligen Dachgeschossen überhaupt erlaubte, einen eben solchen anbringen zu können. [...]

 

Wo blieb der majestätische, universitäre Anspruch, den eine Pädagogische Hochschule sich teils selbst anmaßte beziehungsweise auch offiziell von Seiten des Staates verbürgt war (ohne dass dieser den Hochschulen den identischen finanziellen Spielraum wie Universitäten zugestand)? Konnte das gesamte Studium wirklich so auf Halbgas funktionieren? Wurde man vielleicht sogar hinterrücks, in politischem Auftrag, durch-geschleust oder gar durchgewunken, wie an einem Grenzposten innerhalb der EU, als Farce einer echten Kontrolle – immerhin wurde ja der bildungspolitische Notstand ausgerufen, begründet unter anderem mit dem Lehrermangel?

Denn irgendwie waren selbst die Examensprüfungen – für die man sich übrigens nicht mal ausweisen musste, ich hätte auch irgendeinen spontan ergriffenen Spaziergänger in den Prüfungsraum schubsen können, vor allem in den Fächern, in denen man nicht ganz so fleißig anwesend und damit den Dozenten unbekannt war! – nicht all die wilde Aufregung wert [...]. Ja, ich hatte nach manchen Prüfungen ein merkwürdiges Gefühl in mir. Einerseits war ich extrem happy, eine 1,5 zu erlangen. Auf der anderen Seite war ich enttäuscht, dass meine ››Leistung‹‹ eine solche Note verdient hatte. Da wollte ich lieber nicht wissen, was sich die Studierenden mit einer 3,0 zusammengestottert hatten. Also… falls es Dreier überhaupt gab. Die zweite Frage lässt sich demnach leicht beantworten: Ja. in den meisten Fällen konnte das auf Halbgas klappen. Die letzte Frage allerdings erfordert einen differenzierteren Blick. Denn: Andere Fächer, andere Dozenten, andere Sitten. Es war also durchaus fachabhängig, was man wie zu leisten hatte – und vor allem, ob man überhaupt etwas leisten zu leisten hatte, also ob zum Beispiel mit speziellen Prüfungen ››ausgesiebt‹‹ wurde, wie in Mathe (absurderweise aktuell kurz vor Ende des Studiums!), Musik (mittels praktischer Prüfungen) oder Deutsch (zu Beginn mit der ersten Prüfung). Musste auch getan werden, schließlich wuchs die Zahl der startenden Studierenden von Semester zu Semester an.

Wählte man seine Fächer dagegen clever – notfalls nachträglich durch geschickte Fachwechsel nach bereits gestartetem Studium und dem Kennenlernen der Tipps & Tricks – konnte man seinen Abschluss in kurzer Bermuda-Short, mit Sonnenbrille, Strohhut und Cocktail in der Hand, aus der Hängematte heraus erlangen. Und das sage ich, der nun wirklich kein Überflieger war, ist und jemals sein wird. Egal, in welchem Zusammenhang. Kein Wunder also, dass den Pädagogischen Hochschulen im Vergleich mit anderen (››richtigen‹‹?) Hochschulen etwas der Ruf von ››Deppen-Unis‹‹ anhaftet – schon rein aufgrund des niedrigen NCs, der selbst mittelmäßige Trottel wie mich zulässt. Aber ganz im Ernst: Ich könnte auch jetzt noch vor Wut platzen, wenn ich an manche Handouts, Hausarbeiten oder Präsentationen (auch von Höhersemestrigen) zurückdenke – da muss schon in der Schule viel falschgelaufen sein, was Layouten, Rechtschreibung, Stilistik, Grammatik und Paraphrasierungsqualitäten angeht. Wer Lehrer werden möchte, sollte das einigermaßen beherrschen. Und wer nicht einmal in der Lage ist, fehlerfrei von Wikipedia abzuschreiben beziehungsweise dieses vorzulesen, hat seinen Studienplatz meiner Meinung nach verwirkt. Ich hätte mich als Dozent geschämt, solchen ››wissenschaftlichen Hausarbeiten‹‹ den Status von Wissenschaftlichkeit oder gar den Status einer Hausarbeit anzuerkennen. Oder bei den PowerPoint-Präsentationen von Studierenden, die immerhin Medien- und Bildungsmanagement (!) studieren, nicht vor Zorn vom Stuhl zu fallen, wenn sie ihre augenkrebserregenden sowie furchtbar textüberladenen Folien an die Wand warfen und man sich eingestehen musste, dass jeder verbitterte Senior, der einen zweiwöchigen Computerkurs an einer Volkshochschule besucht hatte, dies unter Umständen besser hinbekommen hätte – wenn er den Computer nicht lediglich für exzessives Online-Bingo, das Weiterleiten von absurden Kettenbriefen und schrullig-rechtskonservative Meinungsäußerung in sozialen Medien nutzen würde.

Aber alles kein Wunder, wenn man davon ausgeht, dass einer bemerkenswerten Zahl an Studierenden bzw. Abiturienten heutzutage offensichtlich keine wirkliche Studierfähigkeit mehr zugesprochen werden kann.

[...}

 

Egal. Schön und gut, Abschluss in der Tasche, easy. Doch dann kam mir die folgenreiche Frage, die das kecke Teufelchen angedeutet hatte, wieder in den Sinn – womöglich zu spät: Bin ich beziehungsweise wurde ich auf meinen späteren Beruf angemessen vorbereitet? Bin ich tauglich für diese verantwortungsvolle, belastende und vielseitige Arbeit?

Und, weil die Antwort darauf leider „Nein!“ lautete, aber das zuvor, während des ganzen Rumstudierens, von niemandem auf Seiten der Institution ehrlich zugegeben worden war, ging man eben nun, lieber spät als nie, einen Schritt weiter und dachte darüber nach, wie es sein konnte, dass eine extra für diesen Zweck ins Leben gerufene universitäre Berufsausbildung so dermaßen schief laufen konnte und durfte. Nur wenig überraschend also, dass man später, in der posthochschulischen Zeit, feststellen muss, dass das aristokratisch anmutende Erste Staatsexamen außerhalb des Lehrer-Kosmos nicht einen Pfifferling wert ist.

Und das vermutlich zu Recht – denn auch innerhalb des Lehrer-Kosmos ist es bestenfalls eine Farce. Wer sich auf seinen Abschluss etwas einbildet – oder von diesem gar seine vermeintliche Befähigung für den Lehrberuf  ableitet –, sollte dringend zum Psychologen.

[...]

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