Leseprobe VI: Wie es (vorläufig) endete...

Der folgende Text ist ein Auszug aus meinem in Kürze erscheinenden dritten Buch ("Zwischen den Fronten - Warum ich dem staatlichen Schulsystem den Rücken kehren musste"), welches meinen Weg zum Lehramt beschreibt – und meine Abkehr davon. Nur um dann doch wieder Lehrer zu sein. Nun, lange Geschichte. Lang genug für ein Büchlein jedenfalls.

 

 

„Manchmal hat man ein beklemmendes, aber gleichzeitig auch klares Gefühl, dass etwas nicht stimmt, dass etwas nicht passt, dass man irgendwo fehl am Platze ist. Das ist ein Gefühl, das einen relativ schnell heimsucht, ein Gefühl, welches wie ein Schatten mit dir durch die Schulgänge zieht. Manche können es vertreiben, mit viel Tapferkeit und Elan, manche geben sich hin. Genau wie ich. Das Problem dabei: Es fühlt sich richtig an. Obwohl ich nicht weiß und wissen kann, was die Zukunft bringt – es fühlt sich befreiend an, wenn ich nur daran denke. Ich will hier einfach nicht sein.“

So oder so ähnlich, wahrscheinlich eher stotternd, unsicher, mitnichten so schön formuliert und auf den Punkt, drückte ich mich in diversen Gesprächen aus, mit dem Rektor, dem Mentor, dem Seminarleiter, meinen Eltern und Freunden. Ich sah die Überraschung in ihren Gesichtern, die meisten gaben mir gleichzeitig aber positives Feedback. Schließlich sei nicht alles am Lehrberuf erlernbar, man müsse vieles schlucken, man müsse bestimmte Persönlichkeitsmerkmale aufweisen, man müsse definitiv davon überzeugt sein – und mein selbstreflexiver Monolog nötigte den handelnden Personen in Sachen Persönlichkeit Respekt ab. Schlussendlich würden meine sehr persönlichen Schilderungen eine prekäre Situation skizzieren, und ja, die Gesundheit gehe vor, und nur weil sich das Referendariat in weiten Teilen so anfühle, sei es beileibe kein Gefängnis. Während der spätere Beruf dann durchaus ein Käfig sein könne, wenngleich auch ein golden schimmernder.

„Es fällt mir auch schwer, das vollumfänglich zu begreifen, es ist eine explosives Gemisch aus schulischen und persönlichen Faktoren“, erzählte ich weiter, wie bei einem Psychologen auf der Couch, stattdessen saß ich am eher funktionalen als gemütlichen Konferenztisch des Rektorenzimmers, „ich stelle mein Licht gerne unter den Scheffel, umgekehrt kann ich aber auch sehr gut einschätzen, wer ich bin und wer ich sein kann. Ich stehe bereits jetzt jeden Morgen mit einem Magengrummeln auf, nach einer meist schlaflosen Nacht, fahre mit einem unguten Gefühl zur Schule und mit einem noch mieseren, frustrierten Gefühl wieder nach Hause. Nur um dort ängstlich Unterricht vorzubereiten, der nächste lange Schultag als erneute Drohung im Nacken, kein Raum und keine Zeit für ein wohliges Feierabendgefühl, für ein inneres High-Five mit mir selbst und dem freudigen Ausspruch ››Jawohl, geschafft!‹‹, während ich ein kühles Bierchen trinke. Stattdessen bin ich sterbensmüde, gehe superfrüh schlafen und wache dann erschrocken auf, weil der nächste Tag schon vor meiner Tür steht, frech kichernd und mich provozierend.“

Dass mich bereits die Anfangszeit des Referendariats schon derart mitnehmen würde, hatte ich selbst nicht erwartet. Vielleicht hatte die schulische Umgebung, die mir, [...] etwas missfiel, wie ein Katalysator für meine Zweifel gewirkt. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht war es gut so, schnell die Realität wahrzunehmen und lieber früh als zu spät die Notbremse zu ziehen, bevor mich der Alltag und die mehrdimensionale Belastung, die ich scheinbar nicht aushalten konnte, wirklich verschlungen hätte. Vielleicht hätte ich mich aber auch länger durchboxen können oder gar müssen, oder es zumindest versuchen sollen, denn so bleibt ein wenig das Image des Losers, des Feiglings, der sich nicht an die neue Situation oder die ungewollte Schule gewöhnen wollte und womöglich aus fehlender Lust oder Faulheit abbrach. Auch wenn dies natürlich keiner der Beteiligten aussprach. Ob aus einem echten, mitfühlenden Verständnis heraus oder aus absoluter Gleichgültigkeit – der nächste Refi kommt bestimmt –, konnte ich nicht identifizieren.

 

Natürlich war auch ich enttäuscht vom Ablauf des Ganzen, in gewisser Weise auch von mir, es ist nicht so, dass mir die Entscheidung leicht fiel, wenngleich vielleicht etwas zu leichtfertig. Diese omnipräsenten Selbstzweifel, potenziert durch ein absurd wirkungsloses Studium und die Irrungen und Wirrungen des Referendariats bzw. die Ametrien von Theorie und Praxis, denen ich mich unterwerfen sollte, machten auch an dieser entscheidenden Station der Entscheidung keinen Halt, sondern verstärkten den Negativstrudel, der mich zu ersäufen drohte.

„Ich bin schon 27, habe nur das Studium absolviert, habe keine Ausbildung, und stehe jetzt vor den Trümmern eines Hauses, welches ich nie errichtet hatte. Das weiß ich, es ist mir bewusst – und es tut weh. Aber was soll ich tun? Ich hatte schon einige Jobs, die natürlich mühsam waren – physisch und psychisch –, die selbstredend auch oft keinen Spaß machten, aber die waren alle befristet, das Ende war absehbar. Und außerdem gehört das ja auch irgendwie dazu, Arbeit heißt nicht umsonst Arbeit, ich lebe nicht in einer Traumwelt, auch wenn ich es gerne täte. Und dennoch ging ich da mit der Einstellung rein: Gut, das muss nun eben erledigt werden, dann wird das jetzt halt durchgezogen.“

Wer beispielsweise schon einmal im Einzelhandel, vor allem zwischen Weihnachten und Silvester, sich die Hacken wund gelaufen hat und Kunden bedienen musste, die natürlich alle schon frei haben und dennoch nicht zu schätzen wissen, dass Verkäufer selbst am 24. oder 31. Dezember bis nachmittags dem selbst gemachten Stress und der ekligen Hektik der Kunden ausgeliefert sind, ohne zu wissen, wann man denn eigentlich selbst für die Feiertage einkaufen gehen kann oder wann gar diese ››festliche Stimmung‹‹, von der alle reden, aber keiner in sich trägt, aufkeimen soll, weiß vielleicht, wovon ich spreche. Da beginnt man, Menschen zu hassen. Vor allem den Teil der Kunden, die auf dich herabschauen, aber gleichzeitig deine Hilfe benötigen. Weil dann auch noch ununterbrochen diese grausamen Weihnachtslieder dudeln, die in ihrer monotonen Belangslosikeit eigentlich Besinnlichkeit vermitteln sollten, aber eher für innere Amokläufe sorgen. Aber: Alles kein Problem. Wird erledigt. Muss halt.

„Mir fehlt nicht der Wille zu arbeiten, mich zu engagieren. Ganz im Gegenteil, ich bin eigentlich sehr pflichtbewusst, pünktlich, zuverlässig. Eigentlich die Tugenden, die nun bis zum inneren Erbrechen von mir und den anderen Refis erwartet werden. Aber hier ist das anders: Ich fühle mich nicht im Ansatz wohl und entwickle gar nicht erst ein Bedürfnis, tatkräftig mitzuhelfen. Konferenzen? Hoffentlich muss ich da nicht hin! Ist ja eh keiner begeistert davon, empfinden alle als unnötige Zusatzveranstaltung, bringen alle nur irgendwie hinter sich und blicken dabei umher wie drei Tage Regenwetter, während sie alles tun, nur nicht aktiv an der Konferenz teilnehmen. Aufsichten oder Vertretungsstunden? Puh, zum Glück hat mich niemand gefragt, ich verschwinde geräuschlos in der Ecke hinter dem Whiteboard, bevor mich jemand bemerkt. ››Hast du nicht Lust, heute mal bei der Klasse XY eine Stunde zu halten?‹‹ ››Ach, ähm, es ist so, [beliebige erfundene und billige Ausflüchte einfügen], weißt du? Passt mir gerade nicht so rein. Aber sonst natürlich gerne mal!‹‹ Dann doch noch lieber ››hospitieren‹‹ und wieder ab in die schöne Traumwelt. Körperlich irgendwie da sein, geistig aber ganz woanders. Oder noch lieber: Gleich heim und unter die Decke. Und dieses Gefühl der Antriebslosigkeit und der Nicht-Zugehörigkeit in sich zu tragen – jetzt schon! – spricht meiner Meinung nach Bände.“

 

Dann eine Nachfrage, die schmerzte, obwohl sie so vorhersehbar wie logisch war: „Hätten Sie das nicht schon vorher bemerken können? Während des Studiums, oder zumindest vor dem Referendariat?“ „Habe ich.“ Ich schluckte kurz, kramte in der Erinnerung. „Das Studium ließ jedoch nicht viel Praxiserfahrung zu. Inhaltlich war ich allerdings immer sehr interessiert, sowohl fachlich als auch didaktisch. Und das bin ich immer noch.“ Der Rest war jedoch begünstigt durch gewisse begleitendende Umstände, die es gut mit mir gemeint hatten… für die ich allerdings weiter ausholen muss [...].

[...]

Prinzipiell muss ich mir aber wohl einiges vorwerfen lassen, ja. Zum Beispiel: [...] Meine Leidenschaft galt schon immer der Schreiberei, aber ohne Journalismus- oder Medienwissenschaftsstudium – für welches mein Abitur tatsächlich zu schlecht gewesen war – grenzte das Ergattern von populären Volontariats- oder auch nur Praktikumsstellen bei Verlagen an ein Wunder. Wahrscheinlich war ich in dieser Hinsicht aber nur auch wieder zu bequem, und hätte die große Freizeit während des Studiums dazu nutzen sollen, mal links und rechts zu gucken und Praktika zu absolvieren, anstatt immer stumpf geradeaus zu fahren, ohne zu wissen, ob dieser Weg wirklich zum Ziel (und zu welchem Ziel überhaupt) führt. Vielleicht hilft mir, um dieses Ziel doch noch auf Umwegen zu erreichen, mein jetziges Staatsexamen, oder vielleicht sogar dieses Buch, und damit indirekt Sie. Danke dafür.

Bleiben wir ernst: Es gibt irgendwie keine klaren Prognosen, keine klaren Antworten, alles sind Eventualitäten, nichts Festes, egal, ob die Vergangenheit, die Gegenwart oder die Zukunft betreffend. Die Vergangenheit ist aber nun sowieso irrelevant, es geht jetzt zügig und ohne mögliche Ausflüchte um die Gegenwart, um damit wiederum bestenfalls eine angenehme Zukunft gestalten zu können. Open End. Ungewissheit. Aber, wie sagt man doch so schön: Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.

 

Manchmal muss man eben stark genug sein, ››Nein‹‹ zu sagen. Von den meisten Lehrkräften und Lehrbeauftragten des Seminars, mit denen ich mich ausgetauscht habe, erntete ich dafür Respekt, teilweise sogar Hochachtung.

„Man muss diesen Job lieben, ihn mit Leidenschaft ausüben. Wenn du merkst, das ist nicht deine Welt, dann lieber früher als später, sonst macht dich der Beruf kaputt“, so ein Lehrer, der die Kenntnis über meinen nahenden Schlussstrich zu einem sehr sympathischen Gedankenaustausch nutzte, obwohl wir davor kaum Kontakt hatten.

„Es ist immer besser, du merkst es selbst, bevor es alle um dich herum merken, aber du, völlig betriebsblind und aus Furcht vor neuen Wegen heraus, einfach weitermachst, obwohl du dir selbst damit keinen Gefallen tust.“ Hierzu ergänzte er: „Ich kenn‘ viele, die genau das hätten tun sollen, gerade junge Kollegen und Kolleginnen. Die legen, bevor sie eintreten, die Hand auf die Türklinke des Klassenzimmers, halten kurz inne, pusten durch, ein tägliches Kämpfen, ein ständig wiederkehrendes Sich-überwinden-müssen. Aber die Ungewissheit, die einen nach dem Ziehen der Reißleine womöglich erwartet, erscheint den meisten noch anstrengender, noch kraftraubender. Und so bleiben sie. Tag für Tag. Und man fürchtet, dass das ein Fehler sein könnte.“

Andererseits gäbe es natürlich auch Lehrer, die dank einer gewissen Routine und eines wegfallenden Erfolgsdruckes, nach und nach lockerer und stabiler wurden, wieder mehr sie selbst sein konnten, ihre eigene Linie entwickelten. Genau da hakte ich ein: Eben, genau dies sei auch eine meiner größten Baustellen gewesen, ich hatte das Gefühl, dass das, was meine Persönlichkeit ausmacht, meine Kompetenzen und meine Interessen, vernachlässigt werden müssten, zugunsten eines Verhaltens, eines Lehrens, eines Seins, das nicht ich bin. Meine Stärken, die es tatsächlich irgendwo gibt, waren gnadenlos unterrepräsentiert, während meine Schwächen als irreparabel galten. Und die Art des Lehrens hier leider exakt auf diesen Schwachstellen aufbauen würde.

„Keine Sorge. Ich bin mir sicher – und du hast die Entscheidung ja auch nicht kopflos getroffen – dass das der richtige Weg für dich ist. Und selbst wenn nicht: Du bist noch jung, die Tür zum Lehrberuf ist damit ja nicht zu. Schaue dich in alle Richtungen um, entwickele dich weiter, nur nicht hadern und zurückschauen. Es bringt nichts, hier dran zu bleiben, wenn du dir sicher bist, dass du das nicht bis an dein Lebensende mittragen willst und kannst.“ Er hatte Recht.

 

Und mit ein paar Monaten Abstand kann nun ich sagen: Yes, alles richtig gemacht. Denn ironischerweise bin ich nun ››wieder‹‹ Lehrer, aber in einem völlig anderen System, das vollkommen anders funktioniert. In dem ich das ausleben kann, was mich einst wohl unbewusst zum Lehramtsstudium geführt hatte. Und in dem ich mich nicht mehr verstellen muss. Ein System, in dem, so weit möglich, genau das umgesetzt oder zumindest versucht wird, was ich zuvor vermisst habe. Ein System, in dem gemeinschaftlich statt gegeneinander gearbeitet wird, in dem Kollegen, Eltern und Schüler in Kooperation versuchen, es weiterzuentwickeln und für alle angenehm und fruchtbar zu machen. Es war also gar nicht der Beruf an sich, der mir plötzlich so sauer aufgestoßen war, sondern das Spielfeld und die Spielregeln, die im staatlichen System und an der entsprechenden Schule geherrscht hatten.

Und so ging ich. Nach einem schnell organisierten Übergangsjob – natürlich im Einzelhandel, auch diese Geschichte wiederholte sich – konnte ich mich dann doch nicht so ganz von der Pädagogik verabschieden – irgendetwas hatte mir daran ja schließlich mal gefallen, nicht wahr? In dieser Weise bin ich an einer kleinen Privatschule (mit staatlicher Anerkennung) gelandet [...] Und siehe da: Hier lassen sich einige veränderte Vorzeichen auffinden, und ich kann nun gerne an meinen Arbeitsplatz gehen. Und ich freue mich darauf, mit diesen Kindern zu arbeiten – und sie freuen sich, mit mir zu arbeiten und zu witzeln. Auch hier erfahren die Lehrkräfte eine mehrdimensionale Belastung – aber eine, die ich besser aushalten kann und darüber hinaus möchte.

 

Wer hätte das noch gedacht, nach diesen niederschmetternden Erfahrungen?

Und trotz all meiner selbst- und fremddiagnostizierten (möglichen) Schwächen, die gerade im Referendariat derart überinterpretiert wurden?

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