Online-Dating: Alles, nur nicht normal

Die moderne Zeit bringt viele Vorteile für einen faulen, öffentlichkeitsscheuen Einsiedlerkrebs wie mich: Einkäufe? Erledige ich digital. Behördengänge? Mache ich digital. Berufliche und private Kommunikation? Führe ich digital.

 

An eine Sache habe ich mich lange nicht gewagt: Das Online-Dating. Aus Gründen.
Sehr schnell habe ich mich jedoch davon wieder verabschiedet. Ebenfalls aus Gründen.

Eine nicht ganz sachliche Analyse.

Warum habe ich mich lange nicht angemeldet?

Ganz grundlegend: Der Leidensdruck war nicht groß genug. Einkaufen muss ich, um überleben zu können. Hilft ja nichts. Außerdem wirkt mein Kühlschrank ohne von ihm beheimatete Bierflaschen schrecklich unvollständig. Partnerinnensuche dagegen ist für mich eine Art freiwillige Nebenquest, denn ohne Partnerin bin ich noch lange nicht unvollständig. Außerdem bin ich lieber glücklich single, als gestresst in einer Beziehung.
Hinzu kommt: Ich bin gerne allein, und meist - es gibt Ausnahmen - fühle ich mich nicht einsam. Denn Einsamkeit resultiert aus einem tiefen Bedürfnis nach sozialen Kontakten, welches nicht befriedigt wird. Dieses Bedürfnis habe ich jedoch nur selten. Das ist wirklich so und kein (reiner) Selbstschutz, anders als die harte Schale aus Ironie und Zynismus, unter der ich mich gerne verstecke. Da mein Job zwangsläufig hochkommunikativ ist und mich sozial einbindet, benötige ich im Privatleben nur wenig zusätzliche Gesellschaft. Denn Gesellschaft bedeutet auch Arbeit: Termine finden, sich Probleme anderer anhören müssen, Zeit freischaufeln, durch die Gegend fahren, Wohnung für Besuch herrichten, was auch immer. Weil ich auch leichter Workaholic bin und dementsprechend viel Frei- in Arbeitszeit ummünze, fühlt sich Gesellschaft oft wie eine zusätzliche Belastung, eine weitere abzuarbeitende Aufgabe, ein Zeitfresser an. Soweit ist es im Lockdown gekommen: Die Arbeit wurde zum normalen Leben, mangels Alternativen.
Das fehlende soziale Verlangen hat auch mit meiner ausgeprägten Introvertiertheit zu tun: Gesellige Events kosten mich mehr Energie, als sie mir bringen. Das heißt nicht, dass ich diese Events nicht genießen kann, aber ich bin danach erschöpft. Ich ziehe Kraft aus dem Rückzug, der Ruhe und der Ordnung. Aus der Zeit für mich, allein mit mir und meinen Gedanken, meinen Aufschrieben, meinen medialen Ablenkungsangeboten (Musik, Videospiele). Vielleicht, und auch das schließe ich nicht ganz aus, habe ich mich in den letzten Jahren einfach an diesen Lebensstil gewöhnt. Und weil alle Abweichungen deshalb als Chaos empfunden werden, vermeide ich Abweichungen. Unabhängig davon: Ich werde des Alleinseins nicht überdrüssig und langweile mich nicht, was vielen anderen unverständlich ist, denn Extrovertierte funktionieren in dieser Hinsicht genau umgekehrt: Sie brauchen Input von außen. Sie brauchen Action. Sie wollen sehen und gesehen werden.

 

Die Corona-Lockdowns haben aber selbst mich an meine Grenzen gebracht. Das blieb einigermaßen im Rahmen, denn mein Leben änderte sich weit weniger als das anderer, die plötzlich eingeschlossen wurden. Ich mache dies ja aktiv mit mir selbst, während es anderen nun passiv ereignet ist. Aber: Monatelang nicht einmal zur Arbeit fahren zu dürfen und damit mein hauptsächliches soziales Umfeld zu verlieren, hat Spuren hinterlassen. Ich sehnte mich plötzlich ein bisschen mehr nach sozialer Einbindung. Weil ich perfekt zum Ausbruch der Corona-Pandemie in mein neues Wahlzuhause zog, kenne ich bis heute nur eine Handvoll Leute aus der näheren Umgebung. Barbesuche, Dorffeste, Vereine? Alles tot. Dennoch ist das natürlich auch meine Schuld. Vor allem, wenn mich der Arbeitsalltag auffrisst, vernachlässige ich das Socializen und Connecten nur zu gern. Denn normalerweise komme ich damit klar.

Die neue Situation und die daraus resultierenden Überlegen führten mich dann zu Dating-Apps: Leute online kennenzulernen, klang im ersten Moment herrlich bequem, also genau nach meinem Geschmack. Schnell zeigte sich aber: Es ist das Gegenteil.

 

Die Wahl vor der Wahl

Schon im Play-Store begann die erste Baustelle: Welche App soll ich installieren? Es gibt hunderte von ihnen, und alle wollen Geld mit meinem Verlangen nach Geselligkeit und Liebe verdienen. Überall liest man von Werbung, von Gebühren, die teils für die Freischaltung rudimentärster Grundfunktionen fällig werden, von Bots, die mich anschreiben, um mich an das Produkt zu binden und falsche Hoffnung zu wecken. Na toll. Außerdem gibt es allgemein gehaltene, von vielen Nutzer:innen verwendete Apps, oder sehr spezielle Nischen-Plattformen, die sich auf eine bestimmte Klientel konzentrieren, auf der aber kaum Leute - und schon gar keine Mädels - unterwegs sind.

Kein guter Anfang. Bereits zu diesem Moment fühlte ich mich gestresst. Klar, ich hätte ja auch einfach die beliebteste App runterladen und probieren können, aber das passt eben nicht zu einem grüblerischen Menschen wie mir, der spontane, undurchdachte Entscheidungen nur sehr ungern trifft. Man kann eben nicht aus seiner Haut. Zusätzlich erschwerend kam hinzu, dass Partnerinnensuche bei mir immer nebenherlief, ich nie aktiv auf der Suche war. Die bisherigen Begegnungen mit späteren Liebeleien geschahen zufällig, in Bars, auf Partys, in der Schule, im Studium. Wenn sich was ergeben hat - okay. Wenn sich nichts ergeben hat - auch okay. Diese spontanen Kennenlern-Situationen wünsche ich mir zurück. Gänzlich ohne Erwartungen, authentisch, ergebnisoffen, passiert einfach, oder eben nicht. Menschen in natürlicher Umgebung, in freier Wildbahn. Aber, das musste ich mir eingestehen: Diese Situationen kommen nicht zurück. Die neue Lebensrealität aus Beruf und Corona schaltete diese Zufallsbegegnungen aus, der Würfel wurde weggesperrt. Nun musste erzwungen werden.

 

Na gut, dann eben doch eine App. Folgende Vorgabe: Ich will Frauen kennenlernen, die was Festes möchten. Richtig oldschool. Tja, und das schien bereits das erste Problem zu sein.

 

Die Instagramisierung des Datings

Okay, mein Klischee-Denken war da nicht wirklich hilfreich. Von diesem ganzen seelenlosen Rumgebumse, welches über solche Plattformen organisiert wird, hatte ich gehört. Kann ich ja auch gar nichts dagegen sagen, jeder und jede nach seiner/ihrer Façon. In Ordnung. Entspricht nur nicht meinem Naturell, vielleicht fehlt mir da das Testosteron. Die Geilheit. Die primitiven, tierischen Instinkte. Das Selbstbewusstsein. Das Ego. Die Übung. Die Erfahrung. Was auch immer. Außerdem sehen Frauen (und vermutlich auch Männer) angezogen immer besser aus als ausgezogen. Just sayin'.
Egal, zurück zum Thema. Früher hätte ich geschrieben: Wieso finde ich keine normalen Frauen mehr, die sich eine gute, alte Beziehung wünschen? Mittlerweile formuliere ich das so: Ich bin doppelt zu spät dran. Einerseits scheine ich für mein Alter nicht normal zu sein, denn Unverbindlichkeit scheint die neue Trend-Maxime zu sein. ONS, F+, Begriffe eines neuen Zeitalters, das solche Konstellationen als Normalität statt als Ausnahme betrachtet. Die alternativen Formen der Liebe gab es (heimlich) natürlich immer, keine Frage, nur jetzt werden sie offensiver vermarktet und in begriffliche Hülsen gepresst. Während nun viele diese zwanglosen Treffen mit regem Austausch von Körperflüssigkeiten statt Gedanken bevorzugen, steht in einigen Profilen der Frauen explizit: "Keine schnellen Nummern!", als Absicherung, da dies der neue Standard zu sein scheint, zumindest beim Online-Dating. Abgesehen davon: Aus Frauensicht ist diese Absicherung vermutlich auch dringend nötig, bei all den schwanzgesteuerten Lustmolchen, die alle Profile aus Prinzip liken, um eine höhere Abschussrate zu generieren.
Andererseits bin ich auch deshalb zu spät, weil viele »traditionelle« Damen meines Alters vom Markt sind: Wenn noch jemand meiner alten Bekanntschaften aus Schule und Studium etwas auf Facebook postet, sind es Hochzeits- oder Nachwuchsbenachrichtigungen. Alle sind vergeben, glücklich, alt und erwachsen geworden. Nur ich bin wie früher. Vielleicht ist das das Problem.

 

Sei's drum. Ich gab dem Ganzen eine Chance, trug meine Daten ein, versuchte mich einigermaßen treffend zu beschreiben (was mit der geringen Anzahl an Zeichen fast schon albern ist), lud die vernünftigsten Bilder hoch, die ich finden konnte (viele sind es nicht, auch untypisch für die heutige Zeit), und legte los.       

 

Und so saß ich gespannt vor meinem Smartphone und begann, schnell mit dem Kopf zu schütteln: Die App war ein Sammelbecken für Selbstdarstellerinnen, die ein Best-of ihres Instagram-Accounts in der App spiegelten. Bilder, mit Filtern bis zur Unkenntlichkeit verdorben. Überschminkte Puppengesichter, künstlicher als das Gerät, auf dem ich gerade erneut nach links wische. Halb- bis dreiviertelnackte Trullas, in luxuriösen Hotels, mit bunten Plastik-Fingernägeln, die im Hinblick auf die Funktionalität der Finger einen evolutionären Rückschritt um viele hunderttausend Jahre bedeuten, zur Schau gestellter Protz. Alles weder attraktiv noch erotisch, eher ekelerregend und abstoßend. Danach, weit weniger schlimm, aber für mich hobbylosen Nerd ebenfalls einschüchternd: Mädels, die nur so vor Energie und Selbstbewusstsein strotzten, tausenden von Beschäftigungen nachgingen, sich hyperaktiv und ultrasportlich präsentierten und willkürlich die Welt bereisten, mit welchem Geld auch immer. By the way: Gibt es eigentlich irgendjemanden hier in Allgäu-Nähe, der Wintersport und Skifahren nichts abgewinnen kann? Falls ja, bitte melden!

Aber im Ernst: Aus diesen Gründen habe ich mich immer von Instagram ferngehalten, dieser leidigen, bildorientierten Heile-Welt-Maschinerie, die alles zeigt, nur nicht das wahre Leben. Wie dort wurden in der Dating-App oberflächliche Eigenschaften und optische Merkmale ins Schaufenster gestellt, die im Real-Life beim sogenannten »ersten Eindruck«, ganz unverstellt, echt und unverfälscht, keine Rolle spielen würden. Und jede(r) versuchte natürlich, so viel beeindruckenden Kram wie möglich, und seien es materielle Konsumgüter (wie z.B. Taschen oder Ketten), vor das Haus zu stellen, um damit vom eigentlichen Haus und seiner Inneneinrichtung abzulenken. Ohne dabei zu merken, dass das Haus nun wirkte wie ein seichtes, inhaltsleeres Gruselkabinett auf einem schäbigen Dorfrummelplatz, irgendwo zwischen Monaco und Ostsibirien. Aber immerhin glitzert es! Irgendwie schienen alle kein normales, sondern ein besonderes oder gar extravagantes Leben zu führen. Oder ich einfach ein besonders langweiliges. In dieser App suchten die Angemeldeten jedenfalls keine Wahrhaftigkeit, sondern aufregende und unverfängliche Abenteuer, die sich bestenfalls wieder ins Schaufenster stellen lassen.

 

Schnell dämmerte mir: Hier sind die - für mich - falschen Leute unterwegs. Menschen meines Schlags, die Introvertierten, die weder gerne in der Öffentlichkeit stehen noch viel Eindrucksvolles zu präsentieren haben (bzw. sich nichts daraus machen), die schon im echten Leben nicht auffallen, finden in diesem Sammelbecken der besonders (verhaltens-)auffälligen Menschen nicht statt. Nicht auf Plattformen, die ihre Nutzer:innen zwingen, Menschen ausschließlich anhand von oberflächlichen Merkmalen, eindimensionalen Steckbriefen und binnen Sekunden in Schublade oder  zu stecken. Willkürlich Matches sammeln, um das eigene Ego zu boosten, lag mir genauso fern.

Mh. Erwarte ich zu viel von der Plattform? Ist sie nicht  lediglich der Funken, der den Motor des Kennenlernens entzündet, der es mir ermöglicht aber gleichzeitig auch von mir verlangt, online als auch offline Gas zu geben, damit der Motor nicht wieder absäuft?
Oder habe ich zu hohe Ansprüche? Dabei halte ich mich eigentlich für einen der anspruchslosesten Menschen überhaupt. Gehe ich falsch vor? Bin ich zu verklemmt, zu wenig offen, zu perfektionistisch? Suche ich das bzw. die Falsche? Weiß ich überhaupt, was ich will? Bin ich in meiner Einfachheit zu kompliziert, oder bin ich einfach kompliziert? Bin ich vielleicht der Einzige, der eigentlich unnormal ist, und sich beschwert, dass alle anderen nicht normal sind? Bin ich dann aber andererseits nicht glücklich, unnormal zu sein, weil ich der neuen Normalität nichts abgewinnen kann? Philosophie für Arme.

 

Oder spricht aus mir die Verzweiflung, weil ich Menschen unter die Nase gerieben bekomme, bei denen ich, begründet oder nicht, keine Chance habe? Was kann ich denen bieten? Meine Kontaktanzeige in der Zeitung stelle ich mir so vor: "Durchschnittlicher, kindischer Typ (30), trottelig, humorbegabt, etwas nerdig, nicht-verbeamteter Lehrer ohne bemerkenswerte Skills, Muskeln, Urlaubsschnappschüsse oder Statussymbole, sucht kompatible Partnerin." Nach einem durchgespielten Perspektivwechsel und aus Sicht einer Frau muss ich einräumen: Dem würde ich auch nicht schreiben.
Vielleicht verkaufe mich aber auch schlicht unter Wert, weil ich mich schwer tue, meine positiven Eigenschaften herauszuarbeiten. Eben normal für Introvertierte. Aber unnormal für das Internet.

 

Von einem Abziehbildchen meiner Traumfrau entdeckte ich jedenfalls keine Spur. Dabei passte ich mich extra an, bewertete Äußerlichkeiten über und suchte nach bestimmten Oberflächenmerkmalen und Vorlieben: Aber eine gemütliche, entspannte, bodenständige, natürliche, nerdige, junggebliebene, liebenswürdige, humorvolle Seelenverwandte in Kapuzenpulli oder Karo-Hemd statt Nobel-Kleidchen, mit liebevoll abgeranzten Vans/Chucks statt hohen Hochglanz-Hacken, mit Bier in der Hand statt Prosecco, mit echten Sommersprossen statt falscher Augenbrauen, in natürlicher Weise unvollkommen statt in Künstlichkeit gestorben, kam mir fast nie unter den Zeigefinger.

Dabei sind meine Anforderungen so klar wie komplex: Ich wünsche mir jemanden, der bereits alleine glücklich ist und mich nicht als Verantwortlichen für ihr Glück sieht. Wir uns gegenseitig als Bonus betrachten, uns das Leben gegenseitig noch schöner machen, ganz ohne emotionale/finanzielle/soziale Abhängigkeit, ohne Vorwürfe, ohne Vereinnahmung, ohne Klammerei, dafür mit Freiheit und Raum für eigene Interessen, die die gleiche Wertschätzung wie die gemeinsamen bzw. geteilten Erlebnisse erfahren. Eine, mit der ich zusammen neue Dinge erleben möchte, die mir Anreiz gibt, meinen inneren Schweinehund zu überwinden, die mich motiviert, mein Schneckenhaus zu verlassen, weil ich es für mich und uns will, aber nicht muss. Mit der ich unsinnig rumblödeln, aber auch tiefsinnige Gespräche bis tief in die Nacht und mit zu viel Bier/Wein führen kann. Eine, auf die ich mich in jeder Hinsicht verlassen kann, die mich nimmt, wie ich bin ohne den Versuch mich zu verändern, bei der ich mich fallen lassen kann. Wir uns gegenseitig verstehen, unterstützen, fördern und fordern. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Eine, die eine tiefe Freundschaft, eine innige Verbundenheit, einen gemeinsamen Humor, eine gleiche Wellenlänge und Augenhöhe als Grundlagen für eine gelingende Beziehung sieht, fernab von veralteten Rollenbildern oder Erwartungen, die von außen an Paare herangetragen werden. Das ist schon alles. Eigentlich ganz simpel, oder?
Wieso konnte ich die Auswahl der Frauen nicht nach diesen Kriterien filtern/sortieren?

 

Die Suche nach den inneren Werten gestaltete sich auf der App logischerweise ziemlich langwierig und arbeitsintensiv. Selbst wenn ein Match zustandekam, blieb es oft bei lustlos-gelangweiltem Smalltalk, weil beide Seiten die gleichen Fragen nun schon zum hundertdreißigsten Mal beantworten mussten, das ganze digitale Gespräch schlief ein. Online-Smalltalk ist fast schon so schlimm wie Offline-Smalltalk. Nur die Pausen zwischen den Sätzen sind erträglicher. Wobei die negative Konnotation des Schweigens falsch ist: Ein richtig gesetztes Schweigen kann so viel mehr sagen als pausenloses, unnötiges Gesabbel. Auch in einer späteren Beziehung ist die Fähigkeit zum gemeinsamen Schweigen notwendig, um zur Ruhe kommen, um mal Distanz zu lassen.
In anderen Fällen schickte man sich so viele Textnachrichten, dass man sich später face-to-face nichts mehr erzählen konnte. Und vielleicht verlernt die Menschheit das sinnreiche, persönliche und intelligente Gespräch auch gerade. Die Kommentarspalten des Internets machen es vor. Abgesehen davon: Ich bin kein guter Gesprächsleiter, in diesen mit Anspannung gefüllten Momenten wenig kreativ, der Druck der von mir erwarteten Initiative lähmt mich. Zumindest dann, wenn ich nicht Feuer und Flamme für das besprochene Thema bin oder ich mich nicht »warmreden« bzw. mein Gegenüber einschätzen kann. Das kann abschreckend und uninteressiert wirken, dabei meine ich es gar nicht böse. Es ist nur Schüchternheit, Introvertiertheit, Gehirnchaos, das Übliche.

Aber zu einem Treffen kam es meist eh nicht, und wenn, dann blieb es bei einem. So richtig konzentrieren konnte man sich auf das Date nicht: In der digitalen Pipeline warteten ja noch zwanzig andere potenzielle Matches, die vielleicht in irgendeiner unbekannten Hinsicht besser sein oder passen könnten (was auch immer das heißt), und deshalb im Kopf umherschwirrten. Umgekehrt verglich sie mich womöglich gerade gedanklich mit fünf anderen Typen, mit denen sie bereits geschrieben oder sich gar getroffen hatte.
Die Gedanken kreisen während der Treffen: Wird hier mit offenen Karten gespielt? Mich jetzt öffnen, mich ganz auf sie fokussieren, Deeptalk ansetzen und All-In gehen? Ach, vielleicht ja bei der nächsten, die ist womöglich hübscher/klüger/kleiner/größer/witziger. Irgendeine Ausrede fand sich immer. Kennenlern-Prozess abgebrochen oder in Belanglosigkeit versunken, bevor er richtig in Schwung kam. Aus Name wurde Nummer. Abwägen, vergleichen. Notfalls wegwischen, ghosten. Um am Ende mit leeren Händen nach Hause gehen. Aus der kleinen Auswahl, über die ich mich oben noch empört habe, wurde nun eine zu große Auswahl, um mich auf ein Exemplar zu konzentrieren. Das alles klingt irgendwie nach Viehhandel, fällt mir auf.

Kann, wenn man als Kind nicht gerade in einen Topf mit Selbstvertrauenstrank gefallen ist, sehr deprimierend sein. Und ist eigentlich schade um die Zeit.

 

Auch die Tatsache, dass alle Nutzer:innen ihre Ansinnen im Profil vermerkt haben, stellte sich als ambivalent heraus. Alle Beteiligten wussten gleich, woran sie sind. Beide suchten z.B. eine Beziehung, nicht mehr oder weniger, das Ziel war klar definiert. Es konnte also, anders als in der Stammkneipe nebenan, nicht passieren, dass unterschiedliche Vorstellungen aufeinandertrafen oder man gar aus Versehen eine Vergebene anquatschte. Gleichzeitig lag auf dem Gespräch dadurch eine gewisse Spannung, es mangelte an Unbeschwertheit, man fühlte sich genötigt, Dampfplauderei zu betreiben, von unverfänglichem Hölzchen zu belanglosem Stöckchen zu springen. Die feste Absichtserklärung schloss außerdem die ganze Bandbreite von Möglichkeiten zwischen Hui und Pfui aus: Verstand man sich z.B. blendend, fand aber kein optisches Gefallen aneinander, wurde der Kontakt nicht fortgeführt. Das Entstehen einer Freundschaft stand nämlich nicht auf der To-do-Liste, und die (minimale) Chance, dass aus einer Freundschaft im Laufe der Zeit mehr entstehen könnte, wurde gleichsam im Keim erstickt. Eine interessante Person wird gänzlich gecancelt, weil sie nicht zur Intention der Annonce passt. Online-Dating hat keine Zeit zu atmen, es ist wie ein Bekleidungsgeschäft. Man möchte explizit eine Hose kaufen, probiert verschiedene Exemplare an, lässt sie in der Umkleide hängen, um sich dann doch nicht entscheiden zu können, und auch das schöne T-Shirt bleibt liegen, weil es nicht zum Einkaufszettel passt. Danach wird gleichgültig nach Hause gegangen, notfalls wird der Laden gewechselt. Online-Dating produziert Druck, sein zuvor definiertes Ziel schnell erreichen zu müssen, mit falschen Erwartungen an ein sofortiges Feuerwerk und seltsam engstirnig in die Kennenlern-Prozesse einzusteigen. Geduld? Fehlanzeige.

 

Und nun?

Mensch, ich dachte anfangs wirklich, ich könnte mit dem Online-Dating das verhinderte und verlernte echte Dating irgendwie auffangen. Schließlich war das »digitale Ansprechen« viel leichter als das »echte Ansprechen« auf der Straße, das erste Hindernis ließ sich trotz Unsportlichkeit  leicht überspringen. Aber der ganze Rest blieb online so kompliziert, wie es offline immer war. Nur anders, weil unnormal. Weil zu sehr getränkt mit Erwartungen, zu künstlich, zu erzwungen, zu gewollt, zu unentspannt, zu unflexibel. Zumindest für mich.

 

Aber das Schöne ist ja: Es gibt keinen Lockdown mehr. Das ganze Prozedere ist mir nun endlich wieder viel egaler. Fast schon gleichgültig lösche ich die App, vermerke sie als unsinnige Erfahrung, mache Musik an und schreibe ganz alleine und abgeschieden diesen Text.

Schlimm? Nö.

Belastend, dass mir ständig eingeredet wird, eine Partnerin zwingend zu benötigen und Beziehungen glücklich machen? Kaum. Die Scheidungsrate spricht Bände.

Störend, dass alle Welt immer nur von Sex redet und ein (normaler?) Mann laut Stammtisch dauerrallig nach Frischfleisch lechzen müsste? Oder (normale?) Vergebene und (normale?) Menschen vorheriger (normaler?) Generationen ständig darauf rumreiten, "ich dürfe in meinem Alter doch nicht mehr single sein, alle normalen Gleichaltrigen schon Familie und Haus hätten und ich mich endlich darum kümmern sollte"? Ein bisschen.

Passt aber ganz gut zu meinem Leben, schließlich bin ich beruflich auch nicht den normalen Weg gegangen. Liegt wohl doch an mir. Bin ich so, oder habe ich mir diese Rolle eigenhändig auf den Leib geschrieben und bin nun in dieser gefangen?

 

Aber wenn ich eines vom Online-Dating gelernt habe: Normal ist immer relativ.

Jedenfalls: Für mich ist das nichts. Und das ist okay.

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